Nachdem mich der Administrator gebeten hat, ein paar Zeilen über mich zu schreiben, will ich dies hiermit gerne tun.
Ich heiße Dan, bin 60 Jahre alt und Alkoholiker. Ich habe relativ spät mit dem Trinken angefangen. Ich war, glaube ich 17, als in der "Studentenkneipe" meines Dorfes meine ersten beiden Biere trank, die ich dann wieder ausgekotzt habe.
Trotz des abscheulichen Geschmacks habe ich beim nächsten Mal meinen Ekel überwunden und noch mal getrunken.
Heute weiß ich, daß ich nie wegen des Geschmacks Alkohol getrunken habe, sondern wegen der Wirkung: dem Rausch. Schnell habe ich gemerkt, dass ich fröhlich(er), heiterer, witziger wurde und vor allem hemmungsloser. Meine Scheu gegenüber Mädchen konnte ich somit leichter überwinden. Anfangs war ich nicht abhängig. Ich war ein, so würde ich es ausdrücken, "Vergnügungstrinker", Jahre später wurde ich dann zum Problemtrinker. Vor allem nach dem Fußballmatch gehörten die Bierchen einfach dazu, bei Siegen wurden es auch gerne mal mehr. Alles noch in bester Feierlaune, versteht sich. Wochentags hatte ich zu jener Zeit noch nicht getrunken. Das ging auch relativ lange gut. Studium, Ausbildung - alles gut bewältigt. Gegen Ende 20 kam ich dann in eine Krise: ich habe mich hoffnungslos verliebt, natürlich in eine verheiratete Frau. Und ich habe in Bangen und Zittern und aus Enttäuschung immer mehr und öfters getrunken. Manchmal habe ich mir so "richtig die Kanne gegeben." Erstaunlich, wie viel ich trotzdem damals noch auf die Reihe bekommen habe. Sport und Alkohol, auch Beruf und Alkohol konnte ich gut trennen. Dann kam die Zeit der Arbeitslosigkeit. Das hatte alles verschlimmert. Jetzt bekam ich zum ersten Mal eine Ahnung, dass ich ein Alkoholproblem haben könnte. In diese Zeit fiel auch mein Selbstmordversuch - nicht wegen Alkohol, wie ich meinte, sondern aus enttäuschter Liebe. Richtigerweise müsste ich sagen: ... durch Alkohol. Zwei Polizisten (die gerufen wurden, weil ich vorher Randale gemacht habe) konnten mich gerade noch an am Hosenbein festhalten, als ich kopfüber vom 5. Stock im Treppenhaus herunterspringen wolle. Handschellen an und ratzfatz ab in die Geschlossene. Oh, was habe ich peinliche und vor allem gefährliche Situation unter Alkoholeinfluss erlebt. Ich schätze, dass ich damit nicht der einzige bin.
Dann erholte ich mich recht schnell, hörte vorübergehend mit dem Trinken auf und machte mich selbständig. Das hat mich ausgefüllt und in Anspruch genommen, so dass sich mein Alkoholkonsum in Grenzen hielt bzw. nicht weiter bemerkbar machte. Es blieb beim gelegentlichen Abendtrinken in geselliger Runde. Dann endlich konnte ich in meinem gelernten Beruf arbeiten. Ich war glücklich. Und auch wieder nicht. Jetzt wurde ich vollends zum Problemtrinker, weil ich Probleme durch Alkohol lösen, eher "weg trinken" wollte und weil ich mit Alkohol ein Problem hatte. Um meine Stellung nicht aufs Spiel zu setzen, trank ich direkt nach Dienstschluss, ging abends relativ früh ins Bett (Ich war ja auch müde), damit ich morgens wieder fit bin und keiner was merkt. Heute glaub ich, dass etliche Arbeitskollegen alles gemerkt haben, doch niemand was gesagt hat. Irgendwann bin ich von Bier auf Wein umgestiegen, weil letzterer mehr "reinknallt." Und so ist Wein nach "meinem Geschmack".
Dann lernte ich meine jetzige Frau kennen. Den Alkohol hab ich erstmal weg gelassen, um einen guten Eindruck zu machen. Ja, ich bin Alkoholiker und als solcher ein Meister im Heucheln und Verstellen. Natürlich hat sie es schnell gemerkt, aber mich - welch Wunder - nicht verlassen. Dann begann die Zeit des Versteckens von Alkohol. "Du musst was gegen deinen Alkoholproblem tun!", predigte sie mir. Ich gelobte Besserung, dann trank ich doch wieder ... Aber wem erzähl ich das." Meine Antwort war dann: "Mir kann ja doch keiner helfen." Und das meinte ich auch so, denn ich habe zwei Therapien hinter mir, AA-Mitgliedschaft, zig Selbstversuche bzw. Selbstentzugsversuche - alles vergebens, ja selbst mit Gottesdienstbesuchen und viel flehentlichem Beten habe ich es versucht - und trotzdem immer wieder getrunken. Einzig mit einer Tablette habe ich es noch nie versucht, auch, weil die AAs immer sagen, es gäbe keine gegen Alkoholismus. Das stimmt auch. Aber vor ein paar Tagen habe ich dann nach dem Insistieren meiner Frau im Internet recherchiert und bin auf diese Seite gestoßen.
Doch erst einmal weiter zu meiner Geschichte.
Nach meiner Frühpensionierung konnte ich dann so richtig unbeschwert trinken; denn ich hatte ja keine Verpflichtungen mehr. Und so trank ich schon morgens eine Flasche Wein und öfters wurden es auch gerne mal zwei. Wie viele Abende bin ich ins Bett in der Angst, ich könnte morgens nicht mehr aufwachen oder mich an einem grausigen Ort wiederfinden. Meine Frau berichtete von einem bekannten Alkoholiker, der so gestorben ist. Mein Gott, denke ich, was hab ich bisher für ein Dusel gehabt! Auch das mir und anderen beim Alkohol am Steuer nie was passiert ist. Aber ich will das Schicksal nicht weiter herausfordern. Ich stehe leider erst am Anfang, oder positiv gesehen bei einer neuen Chance zu einem Leben ohne Alkohol, denn das wünsche ich mir sehnlichst. Ich möchte nicht am Alkohol sterben. Ich möchte leben. Unter den Folgekrankheiten leide ich schon länger. Asthma und Tinnitus. Einmal habe ich - es ist schon lange her - tatsächlich geschafft, drei Monate keinen Alkohol anzurühren. Und stellte mit einem Mal fest, dass ich kein Asthma-Medikament mehr brauchte.
Das tückische am Alkohol ist ja, dass er nicht nur schleichend abhängig macht, sondern immer wieder die Verstärker und schönen (Glücks)Gefühle verspricht, die er früher einmal hervorgerufen hat, was wohl den Wiederholungszwang ausmacht, aber einen in Wirklichkeit immer weiter ins Elend treibt. Schleichend ist auch die damit einhergehende Veränderung des Charakters: Ich wurde immer negativer, sturer, zorniger, wütender, aggressiver, auch gewalttätig - und das nicht am Tag des Trinkens, sondern am nächsten und den darauffolgenden Tagen. Ich kann nicht einmal das kleinste Problem aushalten, ohne gleich zu trinken. Und wenn es in der Wohnung was zu reparieren gab, dann habe ich es aus lauter Nervosität ganz kaputt gekriegt. Wie überhaupt, wenn irgendwas nicht (gleich) klappt, werde ich sofort panisch - und bekomme Durst ...
Kontrolliert trinken kann ich nicht. Bei mir muss es gleich die ganze Flasche sein und die wird dann hastig entleert.
Und jetzt komme ich zum Baclofen.
Erst gestern hab ich meiner Hausärztin (seit 10 Jahren) von meinem Alkoholismus erzählt. Sie reagierte fast "euphorisch" und meinte, ich brauchte mich nicht zu schämen, denn das sei eine Krankheit und der erste Schritt sei getan und so weiter. Sie hat mir dann das Baclofen verschrieben, nachdem sie mir zuerst einen langen Vortrag über Psychotherapie wie "Familienaufstellung" gemacht hat. Als sie nach ca. 15 Minuten fertig war, sagte ich, dass ich das auch gerne machen würde, aber es nütze mir nicht, wenn ich trinken würde, was sie bejahte. Dann nahm Sie den Kugelschreiber in die Hand, um mir ein Medikament zu verschreiben. Ich fragte: "Wie heißt das, was Sie mir da aufschreiben"? "Distraneurin." Ich fragte vorsichtig: "Können sie mit auch was anderes verschreiben?" "Ja, was denn?" "Ich habe von einem AA-Freund gehört, Baclofen - oder so ähnlich heißt das - hätte ihm sehr geholfen." "Ja, kann ich auch." Und schaute in ihrem Computer nach. "Das Mittel verschreib ich Ihnen jetzt off-label use, das heißt ..." Dann klärte Sie mich über die Dosierung auf. "Informieren Sie mich aber bitte sofort, wenn irgendwas ist." Ich denke, sie hat das Medikament zum ersten Mal diesbezüglich verschrieben - und ist selbst gespannt auf dessen Wirkweise. Ansonsten will Sie mich jetzt einmal wöchentlich sehen. Zum Schluss erinnerte sie mich noch einmal daran, wie wichtig die Therapie sei, sonst "würde ich wieder trinken". Ich glaube aber eher, das erstmal am allerwichtigsten ist, was "papfl" im Fokus über "Craving und die Rolle von Baclofen" geschrieben hat, speziell über "Trigger", also Reize und Auslöser. Diese waren bei mir zuletzt sogar die Politik. Eben Reiz - Reaktion. Ich trinke sozusagen aus Wut bzw. um meine Wut zu dämpfen. Ich darf keine Nachrichten mehr schauen und auch keine entsprechenden Seiten im Internet aufrufen. Ich muss dann zu mir selbst sagen: "Dan, du bist Alkoholiker ... Was ist dir am wichtigsten?"
Mir geht es soweit gut. Für heute bin ich trocken. Werde weiter berichten.
30 Jahre Alkohol-Karriere
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Re: 30 Jahre Alkohol-Karriere
Hallo Dan
Herzlichen Dank für diese sehr ausführliche Schilderung Deiner Lebensumstände und Deiner „Trinkerkarriere“. Sehr viele von uns werden sich darin wiederfinden und haben ganz ähnliches durchlitten.
Toll, dass Du eine so verständnisvolle Ärztin gefunden hast, welche es zusammen mit Dir mit Baclofen versuchen möchte. Falls Du sie nicht bereits gefunden haben solltest, dann verlinke ich hier nochmal auf die von uns denn die Dosis sollte man ja erst mal langsam steigern. Die Tabelle ist Teil des welcher von Französischen Ärzten anhand jahrelanger Erfahrungen mit zehntausenden Patienten erarbeitet wurde.
Die notwendige Dosis ist von Person zu Person enorm unterschiedlich und kann von lediglich 20 mg bis zu 300 mg / Tag und sogar noch darüber hinaus reichen. Ihr müsst Euch jetzt einfach mal an die für Dich richtige Dosis herantasten. Wenn Du spürst, dass sich Deine Hausärztin ihrer Sache bezüglich Dosierung nicht so ganz sicher ist, dann kannst Du ihr auch mal ein paar Dokumente ausdrucken und zum Lesen geben.
Berichte uns gerne von Deinen weiteren Erfahrungen, und wenn Du fragen hast, dann frag einfach
DonQuixote
Herzlichen Dank für diese sehr ausführliche Schilderung Deiner Lebensumstände und Deiner „Trinkerkarriere“. Sehr viele von uns werden sich darin wiederfinden und haben ganz ähnliches durchlitten.
Toll, dass Du eine so verständnisvolle Ärztin gefunden hast, welche es zusammen mit Dir mit Baclofen versuchen möchte. Falls Du sie nicht bereits gefunden haben solltest, dann verlinke ich hier nochmal auf die von uns denn die Dosis sollte man ja erst mal langsam steigern. Die Tabelle ist Teil des welcher von Französischen Ärzten anhand jahrelanger Erfahrungen mit zehntausenden Patienten erarbeitet wurde.
Die notwendige Dosis ist von Person zu Person enorm unterschiedlich und kann von lediglich 20 mg bis zu 300 mg / Tag und sogar noch darüber hinaus reichen. Ihr müsst Euch jetzt einfach mal an die für Dich richtige Dosis herantasten. Wenn Du spürst, dass sich Deine Hausärztin ihrer Sache bezüglich Dosierung nicht so ganz sicher ist, dann kannst Du ihr auch mal ein paar Dokumente ausdrucken und zum Lesen geben.
Berichte uns gerne von Deinen weiteren Erfahrungen, und wenn Du fragen hast, dann frag einfach
DonQuixote
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