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Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 28. Januar 2018, 22:42
von river
Hallo zusammen. Ich bin river. Und die Unzufriedenheit mit meinem stetig wachsenden Alkoholkonsum ist über die letzten Jahre immer größer geworden. Leider auch meine Fähigkeit, sie zu verdrängen. Ertränken. Whatever. Wie oft ich die berühmte letzte Flasche Sekt getrunken habe, kann ich gar nicht mehr sagen. Aber ist ja nicht schlimm, ne? Eigentlich hab ich doch alles im Griff ne? Einen Scheiß habe ich. Alkoholabhängigkeit ist die Krankheit, die einem sagt, dass man sie nicht hat, hat Daniel Schreiber in "Nüchtern" geschrieben (ein Buch, dass ich vor Ameisen mehrfach eingeatmet habe).

Eigentlich habe ich nach einer Ersatzdroge gesucht, im Netz. Den Teufel austreiben mit Beelzebub, das schien mir eine gute Idee zu sein. Nur welche wäre wohl am besten geeignet? In diesem Drogenforum bin ich dann das erste Mal über Baclofen gestolpert und habe mich festgebissen. Immer mal wieder recherchiert. Mit dem Weinglas neben dem Rechner, natürlich. Während mein Unglücklichsein und meine Angst wilde Partys in meinem Kopf feierten. Noch ein Gläschen, river? Klaro!

Dann Ameisen gelesen, voller Skepsis - und wachsender Begeisterung. Parallel Studien und erste Erfahrungsberichte. Und plötzlich die Hoffnung. Termin gemacht bei diesem Arzt aus jenem Forum. Die Erleichterung, nicht jeden verdammten Resttag meines Lebens "nur für heute" sagen zu müssen. Die Möglichkeit des Scheiterns nicht als finale Verdammnis begreifen zu müssen. Die Möglichkeit des Erfolgs ohne moralinsaure Unterwerfungsmechanismen. Die Perspektive, meiner Hirnchemie mal so richtig zu zeigen, dass der Bartel auch mal keinen Most holen muss.

Ich nehme Baclofen seit Dienstag. Und seit Mittwoch bin ich trocken und nahezu ohne Craving. Unter der derzeitigen vergleichsweise geringen Dosis möglicherweise Placebo. Ok. Danke, Placebo. 5 Tage am Stück habe ich sehr lange nicht mehr geschafft. Gern weiter so. Mein Ziel ist eigentlich, irgendwann wieder genussvoll sehr mäßig zu trinken. Ich weiß noch nicht, ob das möglich ist. Vielleicht will ich ja nach einer Zeit das Zeug gar nicht mehr und der Mythos von Genuss verschwindet. Been there, done that mit Nikotin: Da bin ich seit 15 Jahren clean und vermisse es nicht die Bohne. Im Gegenteil. Die Vorstellung, wieder auch nur eine Zigarette zu rauchen ist eher so örks. Wenn mir das mit dem Alkohol auch so geht: Dann ist das eben so. Challenge accepted.

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 28. Januar 2018, 23:07
von shelf
Hallo und willkommen, river,

river hat geschrieben:Ich nehme Baclofen seit Dienstag. Und seit Mittwoch bin ich trocken und nahezu ohne Craving. Unter der derzeitigen vergleichsweise geringen Dosis möglicherweise Placebo.

wie hoch ist denn deine aktuelle Dosis?

LG

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 28. Januar 2018, 23:23
von river
Danke, shelf! Ich bin seit heute bei 4 x 5 mg. Der Plan ist, langsam hochzudosieren und zwar so, dass ich immer zum Wochenende erhöhe, um eventuelle, anfängliche Nebenwirkungen auf meine freien Tage zu legen.

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 29. Januar 2018, 09:08
von shelf
Hallo river,

das ist ein guter Plan!
Halte dich daran und beobachte genau ob und was sich verändert.
[good_luck]
LG

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 29. Januar 2018, 17:38
von Luphan
Hallo river,

river hat geschrieben:Ich nehme Baclofen seit Dienstag. Und seit Mittwoch bin ich trocken und nahezu ohne Craving. Unter der derzeitigen vergleichsweise geringen Dosis möglicherweise Placebo. Ok. Danke, Placebo. 5 Tage am Stück habe ich sehr lange nicht mehr geschafft.

Herzliches Willkommen bei uns hier im Forum!

Wirklich sehr schön geschriebene Vorstellung von dir. Bei der geringen Dosis muss es aber nicht gleich Placebo sein. Bei mir hat sich bei einer noch geringeren Tagesdosis der Alkoholkonsum gleich halbiert. Das war bei mir definitiv kein Placeboeffekt gewesen.

Sonst scheinst du ja nach Leitfaden des Forums vorzugehen. Das ist gut!

Berichte uns hier weiterhin.

Gruß

Luphan

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 3. Februar 2018, 14:28
von river
Kurzer Zwischenstand: Heute 11. Tag in Abstinenz - es fällt mir (erschreckend) leicht. Heute habe ich glatt vergessen, beim Einkaufen am Weinregal vorbeizugehen, um sehnsüchtig zu seufzen. Zwei Triggermomente (Firmenveranstaltungen) anstandslos überstanden, eins davon vorsichtshalber mit 5mg zusätzlich als Notfalldosis. Viele Menschen um mich herum haben Wein getrunken. Ich nicht, und bis auf ein kurzes Bedauern oder zwei zwischendurch habe ich es einfach immer wieder vergessen. Faszinierend. Seit heute auf 30mg in 10 - 5 - 5 - 10. Überlege, an Arbeitstagen die zweiten 10 nach vorne zu ziehen, um dem Gedanken an einen Wegsekt für die Pendelei nach Hause vorzubeugen. Andererseits hatte ich den auch mit 5 schon nicht mehr.

Manchmal frage ich mich ob ich wirklich weiter hochdosieren muss, wo doch alles jetzt schon so gut läuft. Oder ist das ein eher trügerischer Gedanke? Thoughts?

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 3. Februar 2018, 15:16
von shelf
Hallo river,

schön dass es so gut läuft. good

river hat geschrieben:Seit heute auf 30mg in 10 - 5 - 5 - 10. Überlege, an Arbeitstagen die zweiten 10 nach vorne zu ziehen, um dem Gedanken an einen Wegsekt für die Pendelei nach Hause vorzubeugen. Andererseits hatte ich den auch mit 5 schon nicht mehr.

Manchmal frage ich mich ob ich wirklich weiter hochdosieren muss, wo doch alles jetzt schon so gut läuft. Oder ist das ein eher trügerischer Gedanke? Thoughts?


Lass es erstmal so wie es ist, die zweiten 10 vorverlagern kannst du ja immer noch - wenn es sich als nötig erweist.

Die optimale Dosis ist bei jedem anders.
Bleib erstmal dabei, denn deiner Beschreibung nach tut Baclofen genau das was es soll.

Das weitere Aufdosieren muss dann gaaaanz langsam und vorsichtig erfolgen.
Es dient dazu deine "Maximaldosis" zu ermitteln. Damit musst du es nicht eilig haben. [smile]
Durch ermitteln deiner "Maximaldosis" kennst du dann den "Rahmen" in dem du auch eine "Notfalldosis" (oder mehrere) einsetzen kannst, ohne böse Folgen (Nebenwirkungen) fürchten zu müssen.

LG

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 11. Februar 2018, 10:27
von river
Kurzes Update: Seit gestern auf 10 - 10 - 10 - 10. Inzwischen auch die Firmen-Altweiberparty ohne große Probleme und ohne Notfalldosis trocken überlebt (Tag 18 ohne). Krass. Ich komm mir glatt ein bisschen langweilig vor, so ganz ohne Drama hier unterwegs... [whistle]

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 11. Februar 2018, 11:54
von shelf
Genieße es! doppd

Beobachte aber dabei trotzdem alle Veränderungen.

LG

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 14. April 2019, 13:02
von river
Ich schulde euch vielleicht doch ein Update. Hatte ich doch das Forum zwischenzeitlich ganz vergessen. Here goes.

Im März/ April letzten Jahres fiesen Rückfall gehabt und trotz hoher Dosierung ziemlich viel Wein getrunken. Sehr unglücklich gewesen. Parallel Meditation begonnen. Im Juli beim Doc ausgeheult und viel Verständnis und Ermutigung erfahren. Und das war dann offenbar der Moment, in dem sich der Schalter umgelegt hat: seither bin ich trocken, zunächst unter recht hoher, dann abnehmender Bac-Dosierung. Zurzeit auf 2 x 6,25mg.

Inzwischen habe ich diese „Alkohol ist mir egal“-Dings erreicht, von der auch Ameisen berichtete: ich trinke gelegentlich einen Schluck, lasse den Ouzo beim Griechen nicht mehr zurückgehen z.B., aber es schmeckt mir nicht sonderlich und ich will auch nicht mehr davon.

Dabei vermeide ich allerdings immer noch, Alkoholika im Haus zu haben. Da habe ich noch ein bisschen Respekt davor. Das wird vielleicht auch so bleiben.

Was hilft: Ein vergleichsweise trinkfreies Umfeld zu haben. Wie bei der Zigarrettenentwöhnung denke ich immer längere Phasen gar nicht mehr an die Suchtsubstanz. Sie ist einfach in meinem Leben kaum noch präsent. Und erst recht nicht dominant. Sehr geiles Gefühl. Ich glaube inzwischen, dass eine lange abstinente Phase der beste Weg ist hin zu einem gemäßigten Konsum. Und dass man hinterher möglicherweise gar keinen gemäßigten Konsum mehr will. Weil auf einmal der Reiz weg ist. Ich hab da ziemlich Angst vor gehabt, dass ich möglicherweise gar nicht mehr würde trinken wollen. Verrückt, ne? Jetzt ist es mir egal, und das ist ein gutes Gefühl.

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 14. April 2019, 13:27
von Lucidare
Hallo river,

river hat geschrieben:Ich schulde euch vielleicht doch ein Update. Hatte ich doch das Forum zwischenzeitlich ganz vergessen. Here goes.


Danke und Glückwunsch zu Deiner Leistung von mir! [good]

river hat geschrieben:Sehr geiles Gefühl. Ich glaube inzwischen, dass eine lange abstinente Phase der beste Weg ist hin zu einem gemäßigten Konsum. Und dass man hinterher möglicherweise gar keinen gemäßigten Konsum mehr will. Weil auf einmal der Reiz weg ist.


Ja, so denke ich auch. Wenn es denn mal wieder was sein soll, dann nach dieser Strategie. Erst einmal anfangen und schauen was passiert.

river hat geschrieben:Ich hab da ziemlich Angst vor gehabt, dass ich möglicherweise gar nicht mehr würde trinken wollen. Verrückt, ne?


Der Alkohol nimmt schon sehr viel Raum ein. "Quere" Gedanken inbegriffen. Will sagen, so verrückt ist das nicht... [mocking]

river hat geschrieben:Jetzt ist es mir egal, und das ist ein gutes Gefühl.


Stimmt, das hat etwas.

LG

Re: Aus der Mitte entspringt ein Fluss

Verfasst: 14. April 2019, 14:54
von shelf
Hallo river,

auch von mir herzlichen Glückwunsch zum Erreichten und alles Gute für deinen weiteren Weg. doppd

Der Alkohol hatte sich dir gegenüber lange als "Helfer" getarnt. Jetzt siehst du ihn so wie er ist.
Weder Engel noch Teufel. :wink:

LG