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Baclofen Forum gegen Alkoholsucht • Dr. Strom stellt sich vor, mein neues Projekt
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Dr. Strom stellt sich vor, mein neues Projekt

Verfasst: 6. September 2016, 21:43
von Dr. Strom
Vorstellung

Warnung! Vor dem Lesen mal nach unten scrollen, nur wer Zeit hat, sollte anfangen zu lesen.

Hallo und vielen Dank an alle die hier ihre Beiträge schreiben und aus ihrem Leben berichten, ihr seid Gold wert. Durch das Lesen etlicher Beiträge in den letzten Wochen, habe ich eine Vorstellung von dem, was mich nun selber erwarten wird.

Ich bin 50 Jahre alt und stehe nicht unter Strom, das Pseudonym habe ich in Anlehnung an meine Dissertation von vor 31 Jahre gewählt, damals hatte ich mit winzig kleinen Strömen im Picoamper-Bereich zu tun. Lange ist es her.

Damals hatte ich noch einen Plan für mein Leben, und den Ehrgeiz mein Studium abzuschließen, einen guten Job zu finden, und Familie zu gründen. Alles ganz normal. Fast.

Als Kind war ich Schüchtern und keiner hat mir dabei geholfen das zu überwinden. Erst mit 20 Jahren habe ich gezielt ein Buch gesucht, das mir helfen könnte. Ich habe sogar ein sehr gutes Buch gefunden, das mir viel geholfen hat. Aber so wirklich wird man seine Schüchternheit wohl nie los. Man lernt sich zusammenzureißen oder positiv zu denken, aber viele Situationen im Leben bleiben schwierig.
In meiner Jugend so etwa mit 16 Jahren, war ich in einer Clique, die in der Komfortablen Lage war, Zugang zu einem Kellerraum zu haben, ganz für uns, ohne Kontrolle von Erwachsenen. Wirklich komplett ohne Kontrolle. Und der Getränkehändler war nur 50m entfernt auf der anderen Straßenseite in unsere Sackkasse. Wir trafen uns am Nachmittag nach der Schule, die meisten Hausaufgaben waren gemacht, nur das nötigste. Wir sammelten unser Taschengeld und kauften ein 10 Liter Fässchen Bier. Tolle Zeit war das.

Und dann hatte ich für mich einen Plan fürs Leben, so ganz plötzlich nach der Lektüre der Berufswahlmöglichkeiten vom Arbeitsamt. Eigentlich waren dort die Lehrberufe für Realschüler aufgelistet, aber zum Glück auch ein paar der Berufe, für die man Abitur haben muss, z.B. weil da eh ein Studium dazu gehört. Und diese Berufe waren viel viel attraktiver als die Berufe, die ich mit einem Realschulabschluss erlernen konnte. Also, ich will Abitur machen! Was braucht es dafür. Ein mindest Maß an guten Noten. Na dann fang ich an zu lernen. Es hat funktioniert, ich schaffte es in die Gymnasiale Oberstufe (1982). Tolles Wort. Und sofort hatte sich mein Freundeskreis gedreht, die Clique mit Bier war out. Neue, viel interessantere Mitschüler bereicherten mein Leben. Aber Latein als Leistungskurs war eine bittere Pille. Aber das ist ein anderes Thema. Bis zur richtigen Pille, hat es dann noch 34 Jahre gedauert.

Oberstufe war eine tolle Zeit. Nur mit den Mädels hat es sicherlich wegen Schüchternheit nicht geklappt. Abitur (1985) und dann das angestrebte Studium. Eine Naturwissenschaft sollte es sein! Mit einer Postkarte an der Uni angemeldet, immatrikuliert und völlig naiv losgelegt. Ich kannte in meiner Familie niemanden der Studiert hatte und mir ein paar Tipps mit auf den Wegen hätte geben können. Bin halt ein Arbeiterkind. Meine Eltern haben mich bedingungslos unterstützt. Danke. Sie leben beide noch immer.

Die ersten zwei Jahre konnte ich noch zu Hause wohnen, war billiger, aber mit zeitaufwendiger Fahrerei zur Uni verbunden. Irgendwann war es mir zu blöd und habe mir einen Platz im Studentenwohnheim gesucht. Genial. Das ist das Leben, ich fühlte mich frei, weg von der Kontrolle meiner Eltern, bzw. der Welt meiner Eltern.
Klar als Student hat man auch die Gelegenheit zu feiern, habe ich gemacht. Aber eigentlich auf ganz kleiner Sparflamme. Ich war nämlich aus heutiger Sicht betrachtet Arm. Ein Job als Student, unmöglich. Das Studium hat irre viel Zeit in Anspruch genommen. Unglaublich in welch abgehobenen Naturwissenschaftlichen Bereichen so ein Studium einen bringt.

Wie war das doch gleich mit den Mädels. Ach ja, enttäuschend. Meine erste Liebe... nee, da war ich nur Liebhaber, die Gute hatte ja schon einen Freund. Nr.2 war in psychologischer Behandlung, ambulant....ihr lieblings Satz: "ach ist das alles furchtbar"... Hilfe, komme ich nicht mit klar. Alle anderen, na ja, der Studiert dieses komische Fach.... Was habe ich nicht alles für entgleiste Gesichter gesehen, wenn ich auf die Frage, was ich studiere, wahrheitsgemäß geantwortet habe. Schade, dass ich nicht Fotos davon habe, wäre sicherlich der Renner auf Instagram.

O.K. tolle Frauen kennengelernt, aber keine wollte mich. Trotz lange Bemühungen meinerseits. Da ich kein Geld hatte, habe ich meinen Frust nie in Alkohol ertränken können. War auch nie mein Wunsch.

Studium in Deutschland abgeschlossen. Weiter geht es nach England, 3 Jahre. Weiterhin bettelarm. Na ja für das ein oder andere Pint im Pub hat es gereicht. Auch am Freitag Abend mal eine Flasche Sekt. Viele viele nette Menschen kennengelernt, auch kurz mit einer Frau zusammen gewesen, viel zu kurz. Aus. 10 Jahre sind rum. Dr. Strom ist entstanden. Zurück nach Deutschland.

Ich bin doch jetzt der tolle Kerl. Keine 30, habe nen Dr., habe Auslandserfahrung, habe im Bereich X promoviert. Job ich komme. Wie naiv war das denn. 100 Bewerbungen und ein paar Monate später kam die Erkenntnis. Ich lebe in einer Bananenrepublik, hier gibt es keine Technologie die mich braucht, keine Firma die überhaupt solche Leute wie mich braucht. Ja schlimmer noch, es sind so viele mit diesem Studium unterwegs, die braucht kein Mensch. 10 Jahre für umsonst? Scheiße, Plan B. Programmieren kann ich, also was geht da? Ein Anruf, 10 Minuten Gespräch, komm vorbei. Nach 30 Minuten Vorstellungsgespräch hatte ich einen Auftrag als EDV-Trainer für 3 Wochen, Umschüler des Arbeitsamtes wären meine Schüler. Ups. Schluck...... Gemacht.

Die Erste Stunde war schlimm, danach alles gut. Das macht sogar Spaß, obwohl ich Schüchtern war. Klar, ich bewege mich auf sicherem Terrain, da kann mir fast keiner Querkommen, ich habe die Kontrolle. Das habe ich so 1 1/2 Jahre gemacht. Und ich habe immer sehr gute Beurteilungen der Teilnehmer bekommen. Das baut das Selbstvertrauen unglaublich auf.

Und die Mädels? Es gibt doch Kontaktanzeigen in der lokalen Zeitung. Super Ding. Habe meine Ader für solche Texte entdeckt. Viele Zuschriften, etliche Kontakte, null Beziehung. Ach halt, doch eine, aber da habe ich erst Jahre später Verstanden, dass ich bei eine Asexuelle Frau gelandet bin. Sackgasse.

Jobwechsel, jetzt IT bei einem Weltkonzern, fester Arbeitsplatz, geile flexible Arbeitszeiten, ganz tolle Kollegen. Schnell meine Position gefestigt, sogar eine Projektleitung bekommen. Leider nicht mein Ding, bloß wieder abgeben, war o.k..

Jetzt habe ich mehr Freizeit, fahre meine sportlichen Aktivitäten hoch. Ja, habe ja Zeit. Laufen, Laufen, Schwimmen, Radfahren. Es werden immer längere Strecken. Die 100km auf dem Rad geknackt, und mit Beharrlichkeit, die 3,8km Schwimmen geschafft. Triathlon, du bist mein nächste Ziel. War da nicht noch das Ziel mit Frau und Familie. Ja war da, aber die Welt hat auf Internet umgestellt und die Kontaktanzeigen in der Zeitung aufgegeben. Nur die Frauen dieser Welt ticken im Internet ganz anders. Ich konnte zig Mails schreiben, und bekam auch Antworten, nur zum Treffen traut sich dann keine Frau. Oh, oh, oh, wie dämlich ist das denn. Ich habe doch Kolleginnen, ja, verheiratet, oder in fester Beziehung. Oder Status unklar, bis ich dann von ihr erfahre, dass sich schwanger ist. Frust. Flasche Wein am Abend.

2002 Einstieg in den Triathlon, mache meine ersten Wettkämpfe, tolle Sache, genau mein Ding. Echte Herausforderungen.

2003 Zum ersten Mal als Ironman gefinischt. Ab jetzt halten mich alle für nicht normal.

Egal wo ich gut bin, für 99% der Bevölkerung bin ich dann nicht mehr normal. Danke. Danke an Wellness-Deutschland.

Ich trainiere ja nicht jeden Tag, mach mir beim surfen im Internet eine Flasche Bier auf, ist o.k.
so um 2004, ist mein Alkoholkonsum noch ok?

2008 Mach mal Pause. Ab 1.1. nichts getrunken, ging 8 Monate gut, leider auch gleichzeitig beruflich viel zu tun gehabt. Stress, Samstagsarbeiten, sogar einen Wettkampf deswegen nicht angetreten. Ich brauch mal Pause, trinken.

2009 Endlich mal wieder eine Frau kennengelernt, tja, aber Nichts für ewig. Fange an Strichlisten zu führen über trinkfreie Tage. Ich habe zu viel Langeweile.

2010 Meine jetzige Freundin kennengelernt. Aha, tolle Frau. Nur sie ist viel unterwegs, super selbständig. Und ich habe .... Langeweile. Öh und nun? Nein, wir ziehen nicht zusammen.

Sie glaubt ich stunde dem Alkohol völlig gleichgültig gegenüber. Man braucht sich um mich keine Sorgen zu machen. Stimmt, wenn wir zusammen sind, habe ich ja auch keine Langeweile und brauche keinen Zeitvertreib Namens Bier. Ja es war immer nur Bier. Als ich merkte das es immer häufiger und mehr wurde, habe ich mir gesagt, dass ich nichts Hochprozentiges trinke, denn das kann ich nicht kontrollieren.

Und es sind oft die Kleinigkeiten, die einen weiter abdriften lassen. Ich wohne mitten in der Stadt, zig Läden zum Einkaufen in wenigen Minuten erreichbar. Hin und wieder macht ein Laden auch mal dicht. Doof, da habe ich immer meine Dosen geholt, so 4 Stück. Jetzt ist der nächste Laden nur mit billigem 6-Pack ausgestattet. Ich brauche doch gar keine 6 Bierflaschen, der Bequemlichkeit halber, werden sie gekauft. Und getrunken, ist doch klar.

Die Beziehung zu meiner Freundin hält, die Beziehung zur Bierflasche wird intensiviert. Irgendwann merke ich, dass wenn ich mit meiner Freundin zusammen bin, ich fast nicht mehr Einschlafen kann, die Haut juckt. Super, Entzugserscheinungen. Bald ist es so, dass ich nur dann einen Alkoholfreien Abend habe, wenn meine Freundin bei mir übernachtet. Die Nacht ist eine Qual für mich, kann fast nicht schlafen, sie merkt nichts!

Die längsten Abstinenztage sind im Urlaub. Echt jetzt? Ja. Da habe ich eine Aufpasserin. Quatsch, ich bin zu Schüchtern um mich vor ihr zu outen. Und verlieren möchte ich sie ja auch nicht. Hey diese Frau ist schon was Besonderes, auch mit 50.

Und nun bin ich im hier und jetzt angekommen. Zum Glück wurde die Plus Minus Sendung auf einem der Spartensender an einem Samstagmorgen wiederholt, denn zur normalen besten Sendezeit, bekomme ich nichts mehr mit. Ja, oft kann ich mich am nächsten Morgen an das Abendliche Programm schon noch mehr erinnern. Trotz trinken, bleibe ich schlank, denn ich esse abends nichts. Auch wenn ich Hunger habe, nach 2 Flaschen Bier ist der weg. Und nach 6 Bier kann ich sofort einschlafen, tief und fest bis zum nächsten Morgen, ich werde von nichts wach. Für mich das perfekte Schlafmittel.

Also, das Buzz Word der Sendung, Baclofen, auf eine Zettel aufgeschrieben, gegooooogelt, hier im Forum angefangen zu lesen, sofort im Internet bestellt.

Seit 5 Tagen bin ich mit der Anfangsdosis dabei

Und wie weiß ich ob es wirkt? Ganz einfach, ich führe mein Trinkprotokoll einfach weiter. Begonnen im September 2014. Ach ja, da bin ich am Anfang des Monats einen Marathon gelaufen und hatte im Sommer meinen 9ten Ironman gefinischt. Das Protokoll war nicht nur das aufführen der getrunkenen Menge, sondern enthält auch eine Metrik, die die Intensität des Konsums wiederspiegelt. Nichts wissenschaftliches, von mir als Visualisierungshilfe eingebaut. Hier die Berechnungsvorschrift:
Kein Bier: +10 Punkt
1 Bier: -1 Punkt
2 Bier: 1 +2 -> -3
3 Bier: 1+2+3 -> -6
4 Bier: 1+2+3+4 -> -10
usw. d.h. jedes weitere Bier haut umso stärker in diese Metrik rein. Über den Verlauf eines Monats wird jeder Tag aufsummiert. Hier mal der Monat August. Traurig, nicht wahr.

Und als Grafik, die blaue Linie ist der August, die andere der Vormonat.

Die Idee war es, zum einen zu wissen, wieviel ich trinke und zum anderen zu versuchen, diese Kurve nach oben zu bekommen. Hat nicht funktioniert, wie die Trenntlinie erkennen lässt. Ah. Auch der Versuch ein normales Bier durch ein Mixgetränk mit weniger Alkohol zu ersetzen hat nicht so viel gebracht.
Hier die Entwicklung der letzten zwei Jahre. Der Wert für Sep. 2016 ist unter der Annahme ich würde nur 3 Bier pro Tag trinken.


Ich erwarten Fragen zu diesen Darstellungen, klar werde ich dann auf Wunsch vertiefen.

Mit Baclofen könnte ein Wendepunkt erreicht werden. Ich werde sehen, und im Bereich Erfahrungsberichte die nächsten Monate kommentieren, was passiert.

Mir ist auf Grund der Berichte, die ich gelesen habe, klar, dass ich hier mit Monaten rechnen muss, bevor ich meine ideale Dosierung gefunden habe. Und auch sicherlich Rückschläge einstecken muss. Was solls, ich habe Zeit.

Die üblichen copy and paste Abschnitte zu Leitfaden, Dosierung, B-Rechner etc. kann in den ersten Antworten entfallen, habe ich schon alle durch. Danke, war sehr hilfreich.

So viel geschrieben und doch ist es nur ein kleiner Teil meiner Welt. Ich hoffe meine Welt durch Baclofen und der Arbeit an mir, wieder kontrollieren zu können. Noch habe ich nichts verloren, ich will mein Schicksal aber auch nicht weiter herausfordern.

Re: Dr. Strom stellt sich vor, mein neues Projekt

Verfasst: 7. September 2016, 17:26
von DonQuixote
Hi Dr. Strom!

Ganz herzlichen Dank für die ausführliche Darstellung Deiner Lebensumstände und Deiner Suchtkarriere. Nach nur fünf Tagen mit Baclofen kann man natürlich noch nicht so viel sagen, aber es scheint in eine absolut gute Richtung zu gehen. Wie es funktionieren könnte,

DonQuixote

P.S. Tolles Trinktagebuch!