Hallo zusammen

Es wird eigentlich erwartet, dass sich Mitglieder vorstellen und ihre Lebensumstände schildern, damit die anderen in Etwa wissen, mit wem sie es zu tun haben und ihm dann auch besser helfen können.
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Aiolos
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Hallo zusammen

Beitragvon Aiolos » 27. Februar 2016, 11:43

Möchte mich mal vorstellen:
Bin 45, alkohol- und opiodabhängig (vor 20 Jahren Heroin. Heute Kratom, bis zu 30gr/Tag)
Zusätzlich bin ich angstgestört (Soz.Angst) und depressiv. Bekomme seit 2,5 Jahren SSRI, zuerst Escitalopram, momentan seit 4 Wochen Sertralin, 150mg.
War jetzt 6 Wochen auf Entgiftung und werde demnächst 4 Monate auf Therapie gehen.
Vor meinem Rückfall und Absturz war ich knapp 20 Jahre trocken. Meiste Zeit unzufriedene
Abstinenz.

Besuche seit mehr als einem Monat jetzt regelmäßig Selbsthilfegruppen diverser Stilrichtungen und habe
erst gestern in einer großen AA-Runde nach Erfahrungsaustausch mit Baclo gefragt. Nur einer konnte etwas
dazu sagen - und das war nur das was ich eh schon wusste.

Eine Besonderheit bei mir ist, daß ich seit 2 Jahren regelmäßig Phenibut genommen habe, den kleinen Bruder von Baclofen.
Dieses Mittel ist ein wahrer Zaubertrank für mich. Es nimmt mir die Angst, irrationale Hemmungen und Grübelzwang und verschafft mir quasi fast immer einen guten Tag.
Nachdem ich bei der Aufnahme in die Psychiatrie davon berichtet habe, kam von meinem Arzt der Vorschlag, testweise Phenibut durch Baclofen zu ersetzen. Hat er zu diesem Zweck das erste Mal gemacht.
Gesagt, getan. Ich wurde langsam hochdosiert, auf max 50mg/Tag, aufgeteit auf 3 oder 4 Portionen.
Leider hab ich keinerlei Wirkung verspürt und zur Entlassung hat mich der Doc dann wieder ausgeschlichen. Zudem wurde mir gesagt, daß die klinisch erlaubte Höchstdosis bei 75mg/Tag liegt.

Jetzt bin ich auf einer anderen Station und als ich bei einer Visite von Suchtdruck berichtete, machte mir die
Ärztin den Vorschlag, Baclo wieder anzusetzen, sofern die Rehaklinik zustimmt. Was sie nicht tut. :L
Daraufhin hab ich telefoniert und eine Klinik gefunden, die Baclo akzeptiert. Es erfordert aber etwas Aufwand, den Reha-Antrag nochmal umzuschreiben um die Klinik zu wechseln.

Die Frage ist jetzt
-wie hoch man Baclofen dosieren muss, dass es bei mir wirkt.
-ist es möglich höher als 75mg zu gehen.
-ist die Wirkung ähnlich Phenibut? Also angstlösend / entspannend?
-da beides Gaba-B Agonisten sind: ist Toleranzentwicklung und Abhängigkeit wie bei Pheni zu erwarten?

Tja, das wars erstmal. Also nochmal hallo und ich bin gespannt auf Erfahrungsaustausch.
Grüßle.

P.S. Sollte ich für meine Fragen einen neuen Thread erstellen?

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Papfl
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Re: Hallo zusammen

Beitragvon Papfl » 27. Februar 2016, 12:53

Hallo Aiolos!

Herzlich willkommen im Forum [hi_bye] . Schön, dass Du da bist [smile] .

Kommst Du aus Osteuropa? Wegen Phenibut, meine ich [pardon] .

Phenibut ist hier im Forum eher selten Thema, umso interessanter, von Deinen Erfahrungen mit dem Arzneistoff zu lesen [good] .

Erfreulich auch, dass Du anscheinend an ein recht aufgeschlossenes Ärzteteam geraten bist, das Baclofen nicht von vornherein als Option ablehnt. Das Umschreiben des REHA-Antrags und den damit verbundenen Aufwand würde ich an Deiner Stelle auf jeden Fall in Kauf nehmen: Etwas Besseres, als in einer Langzeittherapie abstinent mit Baclofen zu beginnen und das Medikament dort unter ärztlicher Aufsicht bis zur individuellen Erhaltungsdosis einzuschleichen, kann Dir gar nicht passieren.

Obwohl Du ja bereits zu den "Checkern" zählst [mocking] , möchte ich Dir unsere obligatorischen Einsteigerlinks nochmal mit an die Hand geben, bevor ich auf Deine Fragen eingehe:

Einen ersten Überblick rund um das Medikament bietet unsere Rubrik Baclofen erste Schritte, konkreter im Baclofen-Arztkoffer und Alles Wichtige auf einen Blick. Genaueres zur Dosierung und Therapie findest Du im Leitfaden für die Anwendung.

Näheres zum Thema Craving und der Wirkungsweise von Baclofen findest Du hier.

Lesenswert und aufschlussreich ist auch der Artikel "Ist Alkoholsucht doch heilbar?", den man auch online im PTA-Forum finden kann. Und natürlich das Buch "Das Ende meiner Sucht" von Olivier Ameisen. Der Kardiologe Olivier Ameisen war selbst betroffen und hat Baclofen als Therapieoption bei Abhängigkeitserkrankungen (wieder)entdeckt. Das Buch ist spannend zu lesen! Du kannst die E-Book-Version des Buches auch kostenlos über dieses Forum "ausleihen". Bei Interesse schreibe bitte einfach eine Private Nachricht (PN) an unseren Admin @DonQuixote.

Aiolos hat geschrieben:wie hoch man Baclofen dosieren muss, dass es bei mir wirkt.

Die Höhe der Baclofen-Dosis ist von Patient zu Patient individuell verschieden. Hat auch nichts zu tun mit Körpergröße oder -gewicht oder so. Es gibt den Ein-Meter-Neunzig-Bären mit weit über 100 Kilo, der mit beispielsweise 50 mg/Tag prima über die Runden kommt, aber auch die zierliche Frau, deren tägliche Erhaltungsdosis bei z. B. 150 mg liegt. Da hilft wirklich nur allmähliches, langsames Herantasten an die persönliche ideale Dosis, am besten angelehnt an das bewährte Schema aus dem Leitfaden für die Anwendung (die entsprechenden Dosierungstabellen findest Du zugeschnitten auf die jeweilige Baclofen-Tablettenstärke (10 mg oder 25 mg) auch hier).

Aiolos hat geschrieben:ist es möglich höher als 75mg zu gehen

Durchaus. Die maximale Dosis im Beipackzettel (75 mg/Tag) bezieht sich auf das ursprüngliche Anwendungsgebiet (Spastiken, MS). Dieser Grenzwert wird aber in der Praxis auch hier häufig um ein Vielfaches überschritten. Bei Baclofen als Therapieoption der Alkoholabhängigkeit liegt die Tagesdosis sehr oft über 75 mg/Tag. Ganz aktuell wird aus Frankreich von einer durchschnittlichen Dosierung von 182 mg/Tag berichtet, in der Charité-Studie BACLAD lagen die Durchschnittswerte ähnlich hoch. @DonQuixote hat jüngst im Faden von @APunkt auch etwas zum Thema geschrieben.

Aiolos hat geschrieben:ist die Wirkung ähnlich Phenibut? Also angstlösend / entspannend?

Ja. Und es gibt zudem signifikante Hinweise darauf, dass Baclofen auch antidepressiv wirken kann. Dass Du bei 50 mg/Tag in der Psychiatrie (noch) nichts gespürt hast, würde ich jetzt mal auf die geringe Dosierung zurückführen, zumal Deine Biochemie nach 2 Jahren Phenibut-Einnahme schon etwas "GABA-B-erfahren" ist.

Aiolos hat geschrieben:da beides Gaba-B Agonisten sind: ist Toleranzentwicklung und Abhängigkeit wie bei Pheni zu erwarten?

Am GABA-B-Rezeptor gibt es keine Toleranzentwicklung und auch keine Abhängigkeit. Dass es bei Phenibut zu Abhängigkeit kommen kann, ist dem Umstand geschuldet, dass Phenibut nicht ausschließlich an GABA-B, sondern vor allem in höherer Dosierung auch an GABA-A "andocken" kann (wo die ganzen Abhängigkeiten von Alkohol, Benzos etc. mit "entstehen"). Das ist bei Baclofen nicht der Fall. Deine Frage kann also mit NEIN beantwortet werden. Allerdings sollte man Baclofen trotzdem nicht abrupt absetzen, sondern genau so wie Antidepressiva oder Neuroleptika (die übrigens ebenfalls nicht abhängig machen) langsam ausschleichen, wenn man das Medikament nicht mehr einnehmen möchte.

So, das war's glaube ich von meiner Seite fürs Erste...wenn Du weitere Fragen hast, natürlich immer gerne!

Halt die Ohren steif!

Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
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Aiolos
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Re: Hallo zusammen

Beitragvon Aiolos » 27. Februar 2016, 14:09

Hallo Papfl,

nein, ich bin nicht aus Osteuropa. Aber im englischen socialanxietysupport Forum sind russische User zugegen.
Ich habe damals lange recherchiert wie und was Pheni ist. Und da es in Russland ein zugelassenenes Medikament
zur Behandlung von Angststörungen ist, habe ich das ausprobiert. Und war von Anfang an begeistert.

Nun profitiert nicht jedermann davon, viele merken wohl gar nichts. Und man sollte sich einen Plan machen,
wann man es nehmen, will. Bspw 2-3x / Woche um Toleranz und Abhängigkeit zu vemeiden.

Leider habe ich bei meinem Absturz dann alle meine Mittel überdosiert und zusätzlich noch heftig Schnaps
konsumiert. Ich habe dann ausser Suff kaum mehr was gespürt. Und nüchtern zu werden, war die pure Hölle. Das habe ich alleine nicht mehr geschafft.
Und mein Hirn quasi so malträtiert, dass ich für ein paar Tage auf eine Geschlossene musste. [wacko]

Jedenfalls fällt mir der Verzicht auf Alkohol und Kratom bisher recht leicht, ich möchte nicht mehr breit davon sein.
Aber Pheni wirkt einfach so gut bei mir, dass ich die Wirkung von Baclofen unbedingt testen möchte. Und wenn
möglich ersetzen.
Denn Phenibut kommt doch ziemlich unkontrolliert aus zweifelhaften Quellen und wird
irgendwann sicher auch als nicht einfuhrfähiges Arzneimittel verboten. Also ist die kontrollierte Einnahme
langfristig eher unsicher.
Ein weiterer Nachteil ist ausserdem die lange Anflutungszeit von bis zu 6 Stunden.

Jedenfalls, wenn man sich die chemischen Formeln der beiden Substanzen ansieht, sind sie bis auf das zusätzliche
einzelne Chlor-Atom beim Baclofen vollkommen identisch. Daher hab ich auch große Hoffnung, dass das Baclo
in der richtigen Dosierung bei mir gut wirken wird.
Und ja, deshalb bin ich auch bereit, die Klinik zu wechseln und die Bürokratie auf mich zu nehmen.

Eine Unsicherheit meinerseits besteht dennoch in der Meinung mancher Psychologen, die wohl meinen man
sollte lernen komplett nüchtern seine Probleme zu lösen, anstatt eine chemische Krücke zu benutzen.
Dazu bin ich jedoch zu unerfahren um eine qualifizierte Stellungnahme abzugeben. Ich habe Anfang der
90er etwa 1,5 Jahre Gesprächstherapie absolviert, die mir sehr gut getan hat. Aber der Rest der Abstinenz
war ein ständiges "Aushalten der Nüchternheit".
Insofern habe ich noch nicht alle Therapieformen kennengelernt und kann nicht beurteilen inwieweit diese
es ermöglichen, eine dauerhafte zufrieden Abstinenz zu ermöglichen.
In der Entgiftung hab ich jedenfalls soziale Situationen erlebt, in denen ich krassen Suchtdruck und
massive Ängste und Unsicherheiten entwickelt habe. So wie ich es im nüchternen Zustand von mir so kenne
und "liebe". [sad]

In der Hinsicht stellt sich eigentlich die Frage, ob man mit Baclofen tatsächlich eine Therapie sinnvoll absolvieren kann, oder ob man, da man ja schon per Medikament angstreduziert ist, eventuell weniger von z.B. Konfrontationen in einer Verhaltenstherapie profitiert.

Ameisen war jedenfalls, soweit ich weiss, ja selbst schwer Angstgestört und hat sich ohne Alkohol mit Baclo überhaupt erst richtig funktionsfähig gemacht. Da ich auch aus der Ecke Angst --> Sucht / Depression komme, habe ich die große Hoffnung, das Baclo bei mir den Durchbruch bringen kann.

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Re: Hallo zusammen

Beitragvon Papfl » 27. Februar 2016, 15:01

Hallo Aiolos!

Vielen Dank für Deine ausführliche Antwort :-!? !

Aiolos hat geschrieben:In der Hinsicht stellt sich eigentlich die Frage, ob man mit Baclofen tatsächlich eine Therapie sinnvoll absolvieren kann...

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Therapie erst mit medikamentöser Unterstützung wirklich Sinn macht, weil sich der/die Betroffene dann richtig auf die therapeutischen Maßnahmen und Methoden einlassen kann. Wenn die Gedanken die ganze Zeit über um das Suchtmittel kreisen, kann man sich ja auf die Therapie gar nicht wirklich konzentrieren. Vielleicht magst Du hierzu auch mal einen Blick auf diesen Beitrag werfen.

Aiolos hat geschrieben:...ob man, da man ja schon per Medikament angstreduziert ist, eventuell weniger von z.B. Konfrontationen in einer Verhaltenstherapie profitiert.

Bei Konfrontationsansätzen in der Behandlung von Angststörungen geht es ja nicht darum, den/die Betroffene in möglichst große Angst zu versetzen [shok] . Vielmehr soll ja gezeigt werden, dass die empfundene Angst in bestimmten Situationen völlig unbegründet ist. Dass sie sich nicht ins Uferlose steigert und objektiv gar nichts Schlimmes passiert, wenn man sich der Situation stellt und sie "aushält". Es geht in erster Linie darum, diese Erfahrung zu machen. Aber ich finde es super, dass Du Dir darüber Gedanken machst. Und ich würde diese Bedenken gegebenenfalls auch mit meinen Ärzten/Therapeuten in der Reha besprechen. Dafür sind sie schließlich da :wink: .

Aiolos hat geschrieben:Eine Unsicherheit meinerseits besteht dennoch in der Meinung mancher Psychologen, die wohl meinen man sollte lernen komplett nüchtern seine Probleme zu lösen, anstatt eine chemische Krücke zu benutzen.

Karl Mann sagt in dieser Radio-Sendung:

Man muss sehen, dass das Gebiet der Behandlung von Suchtpatienten über viele, viele Jahre nicht etwas war, wo sich junge Ärzte dafür erwärmen konnten. Das hat dazu geführt, dass viele Entwöhnungskliniken dann von Psychologen geleitet wurden. Psychologen dürfen aber keine Medikamente verordnen und das hat dazu geführt, dass rein psychologische Methoden eindeutig favorisiert wurden.

Gut möglich, dass die Ressentiments einiger Psychologen gegenüber einer medikamentösen Behandlung von Abhängigkeitserkrankungen da her rühren.

Ich würde mir diesbezüglich keinen allzu großen Kopf machen. Du klingst alles in allem sehr reflektiert und aufgeräumt :vic . Ich glaube, der Weg, den Du gerade einschlägst, ist sehr vielversprechend.

Bleib' dran!

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Re: Hallo zusammen

Beitragvon Aiolos » 27. Februar 2016, 22:16

Vielen Dank für deine Antworten, Papfl [smile]
Hat mir sehr, sehr geholfen. Noch eine letzte Frage: da es keine Toleranzentwicklung gibt,
bedeutet das, daß man Baclofen quasi dauerhaft nehmen kann?

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Re: Hallo zusammen

Beitragvon DonQuixote » 27. Februar 2016, 22:25

Hallo Aiolos

Ja, korrekt. Baclofen kann man auch in hoher Dosierung dauerhaft nehmen.

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