Beitrag von freiheit » 21. August 2016, 08:22
Hallo
Ich kenne die Angst vor dem Craving. Ich kenne die panischen Ängste während einer Cravingattacke. Sie sind real da, und diese Explosion an negativen physischen und psychischen Auswirkungen während einer Attacke sind die schlimmste Bedrohung für mich gewesen.
Wo unterscheide ich mich von Euch? In nichts. Ich habe um ein Mittel gefragt, dass mir das Durchhalten einer solchen Attacke erleichtert. Ich habe dieses Mittel (Campral) bekommen, dann aber nie eingesetzt. Dass es sowieso wirkungslos gewesen wäre, das habe ich auch erst viel später und auch hier erfahren.
Warum habe ich nach einem Mittel gefragt? Nach über einem Jahr Trockenheit begannen diese Attacken, und ich hatte sehr starke Zweifel an mir selbst, ob ich diesen heftigen Attacken widerstehen kann. Genau das lese ich hier auch, und ich nehme jeden, der an sich und seiner Stärke, solch eine Attacke durchzustehen, zweifelt, sehr ernst.
Nochmal: Ich kenne das alles aus dem effeff.
Meine Attacken wurden und werden durch Gefühle ausgelöst. Die Art der Gefühle spielte keine Rolle, es war und ist so, dass ich wesentlich sensibler bin als trockener als als nasser Alkoholiker. Wir nennen es: Uns fehlt eine Haut. In Wirklichkeit war es so, dass ich mich nicht mehr mit Alkohol betäuben konnte und es auch nicht mehr wollte. Mir ist bewusst, dass ich mich mit meiner Anfrage bei meinem Hausarzt nach einem Mittel zur Unterstützung in die andere Richtung bewegte.
Warum habe ich dann das Mittel nicht genommen? Ich wollte es doch haben, ich war sicher, ohne Mittel würde ich diese Attacken nicht durchstehen, die Kraft hätte ich ganz einfach nicht.
Dazu möchte ich Euch in ein Beratungs/Erstgespräch mitnehmen, dass ich führte, obwohl ich dafür noch nicht bereit war. In unserer Gruppe wird immer 1 Stunde vor dem Gruppenabend der Tisch angedeckt für Kaffee und Tee. Zudem sind Beratungsgespräche für Betroffene und Angehörige in diesem Zeitraum möglich. Wenn jemand ein Gespräch möchte, dann hat er hier die Möglichkeit. Aus diesem Grund sind es immer 2 Mitglieder unserer Selbsthilfegruppe, die diese Andeckstunde verrichten, 1 erfahrenes langjähriges Mitglied und ein "neuer", der dann bei einem Erstgespräch das Andecken alleine fortführt. Ich war das neue unerfahrene Mitglied. Meine Kollegin kam aber nicht, weil sie, wie sich später herausstellte, diesen Termin bei sich falsch eingetragen hatte.
Die Kaffemaschinen liefen auf Volldampf, und ich war dabei, das Tablett mit dem Geschirr zu befüllen, als ich unten Stimmengemurmel hörte. Es waren eine Frau und ein Junge im Alter so um die 4 Jahre, die die Treppen hochkamen. Der Junge zählte die Stufen, das weiss ich noch genau, und er war richtig stolz auf sich. Die Mutter versuchte, den kleinen Steppke zu bändigen, was ihr aber nicht so ganz gelang. Da ich in der Küche war, schaute ich aus der Tür heraus und begrüsste sie mit einem Hallo.
Ich stellte mich vor, und sie nannte mir ihren Namen und den ihres Jungen. Ich bat sie um 5 Minuten Zeit, um schnell anzudecken. Sie half mir dann dabei, und in mir wuchs die Unruhe, weil meine Kollegin immer noch nicht da war.
Als wir angedeckt hatten, da habe ich sie und ihren Jungen dann in das Beratungszimmer gebeten, wo wir uns dann hinsetzten. Kaffee, Kakao und Kekse standen bereit, nur ich war alles andere als bereit. Meine Unruhe wuchs, und ich spürte schon die ersten Anzeichen einer beginnenden Attacke. Schweiss trat auf meine Stirn und Nacken, und ich bekam das irrwitzige Gefühl, dass ich krampfen könnte. Pure Angst also.
Ich sah sie genauer an, und mein erster Eindruck bestätigte sich. Sie war grau, ihr Gesicht und ihre Kleidung war grau, nicht von der Farbe her, sondern von ihrer Ausstrahlung. Ihr Geruch war mir bekannt, sie roch ganz stark nach einem Raucher, der sich die Kippen aus dem Aschenbecher nimmt und diesen Tabak ein 2. Mal verwendet. Das hatte meine Mutter auch getan, denn in unserer Familie gab es auch sehr wenig Geld, weil mein Vater, ein schwerer Alkoholiker, alles vertrank. Ihre Finger waren an den Stellen gelb, und ich fragte, ob sie rauchen wolle. Ich besorgte einen Aschenbecher und bot ihr meinen Tabaksbeutel an.
Um den Einstieg in das Gespräch zu bekommen, habe ich sie auf die absolute Diskretion, die in unserer wie in allen anderen Gruppen auch gilt, hingewiesen.
Dann bot ich ihr an, zuerst einmal von mir etwas zu erzählen, wer und was ich bin, oder aber wenn sie wolle, könne sie auch beginnen. Diese Entscheidung nahm uns der kleine Steppke ab, indem er sagte: "Papa haut!"
Ich wusste sofort, was das für diese beiden Menschen bedeutete. Mein Vater hatte das getan, er schlug meine Mutter und uns, wenn er betrunken war, und ich war kein Stück besser gewesen, wenn ich betrunken war.
Die Situation eskalierte für mich zu einem Albtraum. Ich schämte mich fürchterlich für ihren Mann und für mich, meine Attacke hämmerte mir ein: Steh auf und geh weg! Du kannst das nicht!!!!!! Es waren nur mm, die mich davon trennten, dieser Frau zu sagen, dass ich nicht in der Lage wäre, dieses Gespräch zu führen.
Ich war ein so nasser Alkoholiker in diesem Moment, wie es ein nasser Alkoholiker nur sein konnte. Alles in mir schrie: Flucht! All mein Wisssen über Alkoholsucht und Alkoholkrankheit (das wussten wir damals schon, dass die Alkoholkrankheit anerkannt war), die tollen Theorien und Studien, die bis zur Bewusstlosigkeit und Verblödung in der Gruppe diskutiert wurden, die noch tolleren Hilfsmittel...nichts von alledem war da, um mir diesesn Moment zu erleichtern.
Es war nur diese Frau mit ihrem Kind und ich in diesem Raum.
Sie sah mir an, dass es mir nicht gut ging, und ich sagte es ihr dann auch, wie ich mich fühlte. Ich sagte ihr, dass ich die Situation häuslicher Gewalt durch den alkoholsüchtigen Vater kenne, und dass ich auch zu Gewalt neigte, wenn ich betrunken war. Ich sagte ihr, dass ich verstehen könnte, wenn sie nicht mit mir reden wolle. Sie hakte nach und stellte die Frage nach dem Warum. Warum machen Menschen diese unbeschreiblich verletztenden Sachen, wenn sie unter dem Einfluß von Alkohol standen.
Diese Frage gab mir die Chance, meine Erfahrungen zu erzählen. Ich versuchte dann, ihr zu erklären, wie ich manipulierte als Trinker, woher meine rasende Eifersucht kam, wieso mir die Familie, der Job, das Haus und alles um mich herum in die Bedeutungslosigkeit versank. Ich reduzierte all mein Wissen auf mein wahrheitsgemässes Empfinden. Nichts als die nackte Wahrheit hatte ich in diesem Moment zur Hand, und während meiner Schilderungen hakte sie oftmals nach, weil die geschilderten Situationen ihr bekannt waren, sie aber nicht verstanden hat, warum ein Trinker so unberechenbar tickt in diesen Momenten.
Ich bekam mich in den Griff, der Sturzbach an Schweiss liess nach, der unbändige Wunsch, aus dieser Situation herauszuflüchten war weg, die Angst war verflogen.
Wir unterhielten uns dann noch lange über die Möglichkeiten, die sie hätte, wo sie weitere Hilfe und Unterstützung bekommen würde usw.
Am Ende waren wir sehr erschöpft, und als sie sich bedanken wollte für das Gespräch, da habe ich ihr gesagt, dass sie in diesem Gespräch viel mehr für mich getan als ich für sie. So sind wir dann auseinandergegangen.
Dieses Gespräch war für mich ein Schlüsselereignis. Nichts als die Wahrheit hat mir in dieser Situation geholfen. Das einfachste Mittel war und ist heute noch so wirkungsvoll. Diese Mittel habe ich immer zur Hand, und damit gelingt es mir auch heute noch sehr gut, aufkeimende Attacken sehr schnell in den Griff zu bekommen.
Möchte noch irgendjemand anzweifeln, dass ich das Craving kenne? Die Gefühle, die wie mit Baseballschlägern auf uns eindreschen, die Panik, die körperlichen Reaktionen? Ich versichere Euch, dass ich Eure Ängste bis ins kleinste Detail kenne, und ich weiss auch, wie stark ihr sein könnt.
Wir unterscheiden uns in nichts.
Damit beende ich meinen Besuch in diesem Forum und bedanke mich bei Allen für Ihre Rückmedlungen und Euer Vertrauen.
Ich wünsche allen viel Kraft!
Lutz
Hallo
Ich kenne die Angst vor dem Craving. Ich kenne die panischen Ängste während einer Cravingattacke. Sie sind real da, und diese Explosion an negativen physischen und psychischen Auswirkungen während einer Attacke sind die schlimmste Bedrohung für mich gewesen.
Wo unterscheide ich mich von Euch? In nichts. Ich habe um ein Mittel gefragt, dass mir das Durchhalten einer solchen Attacke erleichtert. Ich habe dieses Mittel (Campral) bekommen, dann aber nie eingesetzt. Dass es sowieso wirkungslos gewesen wäre, das habe ich auch erst viel später und auch hier erfahren.
Warum habe ich nach einem Mittel gefragt? Nach über einem Jahr Trockenheit begannen diese Attacken, und ich hatte sehr starke Zweifel an mir selbst, ob ich diesen heftigen Attacken widerstehen kann. Genau das lese ich hier auch, und ich nehme jeden, der an sich und seiner Stärke, solch eine Attacke durchzustehen, zweifelt, sehr ernst.
Nochmal: Ich kenne das alles aus dem effeff.
Meine Attacken wurden und werden durch Gefühle ausgelöst. Die Art der Gefühle spielte keine Rolle, es war und ist so, dass ich wesentlich sensibler bin als trockener als als nasser Alkoholiker. Wir nennen es: Uns fehlt eine Haut. In Wirklichkeit war es so, dass ich mich nicht mehr mit Alkohol betäuben konnte und es auch nicht mehr wollte. Mir ist bewusst, dass ich mich mit meiner Anfrage bei meinem Hausarzt nach einem Mittel zur Unterstützung in die andere Richtung bewegte.
Warum habe ich dann das Mittel nicht genommen? Ich wollte es doch haben, ich war sicher, ohne Mittel würde ich diese Attacken nicht durchstehen, die Kraft hätte ich ganz einfach nicht.
Dazu möchte ich Euch in ein Beratungs/Erstgespräch mitnehmen, dass ich führte, obwohl ich dafür noch nicht bereit war. In unserer Gruppe wird immer 1 Stunde vor dem Gruppenabend der Tisch angedeckt für Kaffee und Tee. Zudem sind Beratungsgespräche für Betroffene und Angehörige in diesem Zeitraum möglich. Wenn jemand ein Gespräch möchte, dann hat er hier die Möglichkeit. Aus diesem Grund sind es immer 2 Mitglieder unserer Selbsthilfegruppe, die diese Andeckstunde verrichten, 1 erfahrenes langjähriges Mitglied und ein "neuer", der dann bei einem Erstgespräch das Andecken alleine fortführt. Ich war das neue unerfahrene Mitglied. Meine Kollegin kam aber nicht, weil sie, wie sich später herausstellte, diesen Termin bei sich falsch eingetragen hatte.
Die Kaffemaschinen liefen auf Volldampf, und ich war dabei, das Tablett mit dem Geschirr zu befüllen, als ich unten Stimmengemurmel hörte. Es waren eine Frau und ein Junge im Alter so um die 4 Jahre, die die Treppen hochkamen. Der Junge zählte die Stufen, das weiss ich noch genau, und er war richtig stolz auf sich. Die Mutter versuchte, den kleinen Steppke zu bändigen, was ihr aber nicht so ganz gelang. Da ich in der Küche war, schaute ich aus der Tür heraus und begrüsste sie mit einem Hallo.
Ich stellte mich vor, und sie nannte mir ihren Namen und den ihres Jungen. Ich bat sie um 5 Minuten Zeit, um schnell anzudecken. Sie half mir dann dabei, und in mir wuchs die Unruhe, weil meine Kollegin immer noch nicht da war.
Als wir angedeckt hatten, da habe ich sie und ihren Jungen dann in das Beratungszimmer gebeten, wo wir uns dann hinsetzten. Kaffee, Kakao und Kekse standen bereit, nur ich war alles andere als bereit. Meine Unruhe wuchs, und ich spürte schon die ersten Anzeichen einer beginnenden Attacke. Schweiss trat auf meine Stirn und Nacken, und ich bekam das irrwitzige Gefühl, dass ich krampfen könnte. Pure Angst also.
Ich sah sie genauer an, und mein erster Eindruck bestätigte sich. Sie war grau, ihr Gesicht und ihre Kleidung war grau, nicht von der Farbe her, sondern von ihrer Ausstrahlung. Ihr Geruch war mir bekannt, sie roch ganz stark nach einem Raucher, der sich die Kippen aus dem Aschenbecher nimmt und diesen Tabak ein 2. Mal verwendet. Das hatte meine Mutter auch getan, denn in unserer Familie gab es auch sehr wenig Geld, weil mein Vater, ein schwerer Alkoholiker, alles vertrank. Ihre Finger waren an den Stellen gelb, und ich fragte, ob sie rauchen wolle. Ich besorgte einen Aschenbecher und bot ihr meinen Tabaksbeutel an.
Um den Einstieg in das Gespräch zu bekommen, habe ich sie auf die absolute Diskretion, die in unserer wie in allen anderen Gruppen auch gilt, hingewiesen.
Dann bot ich ihr an, zuerst einmal von mir etwas zu erzählen, wer und was ich bin, oder aber wenn sie wolle, könne sie auch beginnen. Diese Entscheidung nahm uns der kleine Steppke ab, indem er sagte: "Papa haut!"
Ich wusste sofort, was das für diese beiden Menschen bedeutete. Mein Vater hatte das getan, er schlug meine Mutter und uns, wenn er betrunken war, und ich war kein Stück besser gewesen, wenn ich betrunken war.
Die Situation eskalierte für mich zu einem Albtraum. Ich schämte mich fürchterlich für ihren Mann und für mich, meine Attacke hämmerte mir ein: Steh auf und geh weg! Du kannst das nicht!!!!!! Es waren nur mm, die mich davon trennten, dieser Frau zu sagen, dass ich nicht in der Lage wäre, dieses Gespräch zu führen.
Ich war ein so nasser Alkoholiker in diesem Moment, wie es ein nasser Alkoholiker nur sein konnte. Alles in mir schrie: Flucht! All mein Wisssen über Alkoholsucht und Alkoholkrankheit (das wussten wir damals schon, dass die Alkoholkrankheit anerkannt war), die tollen Theorien und Studien, die bis zur Bewusstlosigkeit und Verblödung in der Gruppe diskutiert wurden, die noch tolleren Hilfsmittel...nichts von alledem war da, um mir diesesn Moment zu erleichtern.
Es war nur diese Frau mit ihrem Kind und ich in diesem Raum.
Sie sah mir an, dass es mir nicht gut ging, und ich sagte es ihr dann auch, wie ich mich fühlte. Ich sagte ihr, dass ich die Situation häuslicher Gewalt durch den alkoholsüchtigen Vater kenne, und dass ich auch zu Gewalt neigte, wenn ich betrunken war. Ich sagte ihr, dass ich verstehen könnte, wenn sie nicht mit mir reden wolle. Sie hakte nach und stellte die Frage nach dem Warum. Warum machen Menschen diese unbeschreiblich verletztenden Sachen, wenn sie unter dem Einfluß von Alkohol standen.
Diese Frage gab mir die Chance, meine Erfahrungen zu erzählen. Ich versuchte dann, ihr zu erklären, wie ich manipulierte als Trinker, woher meine rasende Eifersucht kam, wieso mir die Familie, der Job, das Haus und alles um mich herum in die Bedeutungslosigkeit versank. Ich reduzierte all mein Wissen auf mein wahrheitsgemässes Empfinden. Nichts als die nackte Wahrheit hatte ich in diesem Moment zur Hand, und während meiner Schilderungen hakte sie oftmals nach, weil die geschilderten Situationen ihr bekannt waren, sie aber nicht verstanden hat, warum ein Trinker so unberechenbar tickt in diesen Momenten.
Ich bekam mich in den Griff, der Sturzbach an Schweiss liess nach, der unbändige Wunsch, aus dieser Situation herauszuflüchten war weg, die Angst war verflogen.
Wir unterhielten uns dann noch lange über die Möglichkeiten, die sie hätte, wo sie weitere Hilfe und Unterstützung bekommen würde usw.
Am Ende waren wir sehr erschöpft, und als sie sich bedanken wollte für das Gespräch, da habe ich ihr gesagt, dass sie in diesem Gespräch viel mehr für mich getan als ich für sie. So sind wir dann auseinandergegangen.
Dieses Gespräch war für mich ein Schlüsselereignis. Nichts als die Wahrheit hat mir in dieser Situation geholfen. Das einfachste Mittel war und ist heute noch so wirkungsvoll. Diese Mittel habe ich immer zur Hand, und damit gelingt es mir auch heute noch sehr gut, aufkeimende Attacken sehr schnell in den Griff zu bekommen.
Möchte noch irgendjemand anzweifeln, dass ich das Craving kenne? Die Gefühle, die wie mit Baseballschlägern auf uns eindreschen, die Panik, die körperlichen Reaktionen? Ich versichere Euch, dass ich Eure Ängste bis ins kleinste Detail kenne, und ich weiss auch, wie stark ihr sein könnt.
Wir unterscheiden uns in nichts.
Damit beende ich meinen Besuch in diesem Forum und bedanke mich bei Allen für Ihre Rückmedlungen und Euer Vertrauen.
Ich wünsche allen viel Kraft!
Lutz