Hallo zusammen!
Lucidare hat geschrieben:Und bitteschön keiner soll merken, dass ich krank bin. Fatale Situation. So war das bei mir jedenfalls. Du hast ja auch noch das eine oder andere Päckchen zu tragen und das mit der Selbstkritik kann ich vollends nachvollziehen. Man kämpft gegen sich selbst, verliert und ist dann auch noch sauer auf sich selbst.
Ich habe eher anderen verziehen, als mir selbst.
Ich finde es gar nicht so schlecht, dass andere andere nicht merken sollen, dass ich krank bin. Besonders im Job.
Ich glaube, das wäre sonst so, dass ich entweder einen "Mitleidsfaktor" bekäme und / oder nicht ernst genommen werden würde = Entwertung.
Das erste mal, wo ich einen "Profit" aus meinen Störungen gezogen habe, war als ich für einen Schwerbehinderten Ausweis gekämpft habe. Und ihn bekommen habe!
Es war schwer, der Moment im Personalbüro und bei meinem Chef.... Es zu zeigen, es zu sagen. Glücklicherweise hat mich aber keiner gefragt warum - so oder so: Ich hätte es nicht gesagt.
Nun bekomme
5 Tage mehr Urlaub im Jahr und nur darum ging es mir.
Was ich sagen will ist, dass mir bewusst ich, dass es für mich schwerer ist als für andere. Aber ich sehe auch andere, die sich auf ihre Krankheit hinausreden. Und sowas mag ich nicht.
"Damit das Mögliche entsteht, muss immer wieder das Unmögliche versucht werden".
Hab es ja schon geschrieben: Wo wäre ich heute, wenn ich nicht gekämpft hätte? Um ein "normales" Leben.
Wild-Child hat geschrieben:Im Ergebnis steht ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung. Ich erhalte mich selbst aus meiner Arbeitskraft heraus und bin auf keine "Betreuung" angewiesen.
Lucidare hat geschrieben:Ist das nicht ein Grund ein bisserl Stolz zu sein.
Ich weiß, auch das kann schwierig sein.
Doch, Lucidare. Danke für die Anmerkung.
Es ist ein Grund stolz zu sein. Und das bin ich auch. Jedenfalls dann wenn ich auf
diese Art zurückblicke, darauf hin, wo ich herkomme, wo ich schon war und wo ich heute bin.
Das hätte niemand je geglaubt und ich am allerwenigsten.
Aber das spielt im Alltagserleben doch überhaupt keine Rolle.
Im Alltag spüre ich meine Verfehlungen. Ich sehe meinen Alkoholismus.
Dass das ein großer Auslöser für Scham und Schuld ist, wissen wir alle.
Klar werden überall Drogen konsumiert. Jedes Volk hat da so seine eigenen speziellen. Es gibt bestimmt eine Menge Kiffer zum Beispiel, die gut und gechillt durchs Leben gehen und sich kein Problem daraus machen. Ist auch toll, wenn das funktioniert. Ich bin die letzte, die da den Moralapostel spielen will.
Dazu sind meine Alkoholmengen im Vergleich zu anderen Spritis extrem gering.
Allerdings nehme ich aber auch einiges an Tabletten ein, bei denen im Beipackzettel steht, dass man keinen Alkohol trinken darf, weil die Wechselwirkung unvorhersehbar sind, wie zum Beispiel ein Antidepressivum und Methylphenidat wegen ADHS. Regelmäßig.
Ich habe eine beginnende Neurophatie. Heißt, dass meine Arme und Hände nachts einschlafen.
Dazu manchmal Taubheitsgefühle in den Händen, einschlafende Beine und Füße tags sowie gelegentliche Gleichgewichtsstörungen.
( Damit meine ich jetzt nicht die, die man hat, wenn man betrunken ist).
Ich weiß, dass das von der Kombi aus Alkohol und Tabletten kommt, weil das vor sehr langer Zeit schon mal genau so war, als ich Alkohol mit einer Menge Rohypnol zusammen genommen habe.
Ein Liter Wein, manchmal mit Bier und Cognag zusammen durcheinander am Abend ( zum Lernen am Schreibtisch ) und tagsüber mehrere 2mg Rohypnol Tabletten: Damit habe ich mein Abitur dann letztlich trotz ausgeprägter Sozialphobie doch noch geschafft.
Und die Symptome gingen dann vorbei, als ich mit dieser Kombi aufhörte. Oder es zumindestens seltener und weniger wurde.
Der Zusammenhang zwischen meinem Konsum und diesen speziellen Symptomen ist einfach nicht zu leugnen!!
Auch wenn meine Mengen vergleichsweise gering sind. Sie haben Folgen. Folgen die ich spüre.
Nicht nur das körperliche, sondern auch das geistige, seelische. Blackouts, Konzentrationsschwierigkeiten, Fehler.
Alkohol macht alles kaputt. So nach und nach. Schleichend. Man merkt es kaum und bringt es wenig mit ihm in Verbindung.
Im Alltag empfinde ich das nicht so. Ich leide, kämpfe, bringe alles auf an Disziplin und Kraft, was ich habe, um meinen Job zu schaffen.
Ich schäme mich, habe Schmerzen und Angst vor Entdeckung und auch vor weiterem Verfall.
Aber dann, nach Feierabend, wenn ich dann trinke, dann wird es endlich leicht.
Ich kann im Augenblick sein, mache mir keine Sorgen, darf einfach endlich da sein.
Alkohol nimmt mich in den Arm, tröstet und zeichnet weich. Sanft. Einfach.
Etwas Musik dazu und dann geht auch der Haushalt noch.
Viel zu einfach. Kostet nicht viel, ist immer verfügbar.
Und, was macht denn der eine Tag heute schon noch aus?
Die typische Suchtgedanken eben: "Morgen höre ich auf, e h r l i c h ".
Meinen Alkhoholkonsum schreibe ich seit Sommer 2016 akribisch auf.
Ich errechne mir den Wochendurchschnitt um eine überschaubare Vergleichszahl zu haben.
Im Ganzen ist es seit dem wie bei jedem anderen Süchtigen auch: Langsamer aber stetiger Anstieg.
Seit Mitte Januar 2017 nehme ich Baclofen. Steigere in ganz langsamer Dosierung hoch.
Immer getreu dem Leitfaden und Abstimmung mit meiner Ärztin. Manmal auch mit Stopps, wenn es Unsicherheiten gibt.
Seitdem ist der durchschnittliche Konsum minimal gesunken.
Trendlinien lügen nicht!
Minimal - wirklich nur minimal. Aber gesunken.
Trotzdem habe ich Angst. Gerade weil der Konsum eigentlich mehr hätte sinken müssen. Andere Dinge ändern sich. Ich stehe gerade erst wieder auf.
Ursprünglich wollte ich nur aufhören zu trinken wegen meines Jobs, damit ich den nicht verliere.
Ich
wollte überhaupt gar keine Hoffnung mehr haben.
Ich wollte nicht wieder aufsteigen aus meinem Sumpf und Loch:
Wenn ich nicht aufsteige, kann ich auch nicht wieder hinfallen.
Aber inzwischen ist so viel mehr daraus geworden. Darin finde ich mich noch nicht wirklich zurecht.
Auf einmal möchte ich wieder was vom Leben. Habe Hoffnung und damit eben auch Angst.
Es ist alles eingerostet.
"Wer sich nicht bewegt fühlt seine Fesseln nicht."
Daran habe ich mich gehalten. Jahrelange. Aber jetzt bewege ich mich und ecke überall an.
Es tut weh. Es ist schrecklich schwierig und ungewohnt. Es ist unsicher und mühsam.
Aber aufgeben will ich nicht.
Liebe Grüße von
Wild Child
Der Name kommt übrigens von Enyas: "Wild Child"
"Ever close your eyes
Ever stop and listen
Ever feel alive
And you've nothing missing
You don't need a reason
Let the day go on and on"
[url=Ever close your eyes Ever stop and listen Ever feel alive And you've nothing missing You don't need a reason Let the day go on and on]Enya "Wild Child"[/url]