Neu hier

Hier erhalten Angehörige von Alkoholabhängigen Rat und Hilfe sowie auch Arztvorschläge. Und sie können dort lesen, wie andere mit dem Problem umgehen.
Benutzeravatar

Thread-Starter
Frau Holle
Beiträge: 4
Registriert: 30. November 2015, 15:14
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Neu hier

Beitragvon Frau Holle » 30. November 2015, 21:43

Hallo Zusammen,

erstmal möchte ich sagen, dass ich froh bin, dass es dieses Forum gibt.

Ich bin Angehörige. Mein jüngerer Bruder ist schwer alkoholkrank und ich suche nach möglichen Therapiealternativen, da bisherige Entziehungs- und Rehakuren nichts gebracht haben.

Er ist Anfang 40 und Vater von vier Kindern. Wir kommen aus schwierigen, familiären Verhältnissen, unsere Eltern waren Alkoholiker, wenngleich beide im Alter im Alleingang den Entzug schafften und abstinent wurden.

Bereits als Jugendlicher trank mein Bruder recht viel, wohl auch, um die Probleme zuhause zu vergessen. Mitte 20 bekam er schwere Panikattacken. Ein Psychiater verschrieb ihm über Jahre ein Anti-Depressiva, ohne dass er je eine Therapie machte. Die Anti-Depressive unterdrückten die Panikattacken für einige Zeit, doch mit den Jahren griff er dann immer häufiger zur Flasche.

Später setzte er das Anti-Depressiva ab - und sein Alkoholkonsum geriet komplett außer Kontrolle. Er verlor zwei Mal den Führerschein, obwohl er ihn beruflich brauchte. Brach auf der Arbeit heulend zusammen, wurde immer cholerischer, immer negativer, immer (verbal) aggressiver gegen seine Familie, obwohl er diese zweifelsohne liebt.

Die Alkoholsucht hat nicht nur seine Persönlichkeit verändert, sondern auch seine Familie zerrüttet. Seine Kinder verachten ihn und wollen ihn nicht mehr zuhause haben. Seine Frau, meine Schwägerin, hat sich vergangene Woche - nach der letzten erfolglosen Reha - von ihm getrennt, auch weil sie die Kinder schützen will. Sie fürchtet aber genauso wie ich, dass er komplett vor die Hunde geht, wenn er ganz auf sich alleine gestellt ist. Im Moment ist er mal wieder im – warmen – Entzug und komplett hoffnungs- und orientierungslos und fühlt sich als Versager, weil er nicht vom Alkohol loskommt.

Meine Schwägerin und ich bezweifeln, dass er mit den “klassischen” Therapien eine Chance hat. Sein letzter Reha-Aufenthalt war ein Witz. Es gab nicht mal Einzeltherapie.

Bei meinen Recherchen bin ich über Baclofen gestolpert. Baclofen mildert ja offenbar Ängste– und damit genau eins der Hauptprobleme meines Bruders, mit dem die Trinkkarriere begann.

Ich habe gelesen, dass bei schweren Fällen auch Baclofen keine Zauberpille ist, aber ich denke, es könnte eine Chance sein. Deshalb suche ich nun hier einen Arzt in der Nähe, der mit Baclofen behandelt und Erfahrung hat.

Eine andere Frage, die mich umtreibt: Wie sollen wir uns als Angehörige verhalten? Mein Bruder ist psychisch so angeschlagen, dass er nicht mehr in der Lage ist, die Initiative zu ergreifen. Er ist nicht mal in der Lage, sich am Computer zu informieren. Es wird ja gesagt, man müsse Alkoholiker fallen lassen, damit diese die Kurve kriegen, aber ich weiß nicht...

Viele Grüße und ganz lieben Dank für Eure Hilfe,
Frau Holle

Benutzeravatar

GoldenTulip
Beiträge: 2661
Registriert: 15. Juli 2011, 21:41
Hat sich bedankt: 297 Mal
Danksagung erhalten: 258 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Neu hier

Beitragvon GoldenTulip » 1. Dezember 2015, 00:39

Hallo Frau Holle,

Herzlich willkommen hier im Forum! Jetzt nur ganz kurz, ausführlicher morgen,weil ich kaum noch die Augen offen halten kann.

Bis denne,
Conny
Siegreiche Krieger siegen bevor sie in den Krieg ziehen, während Verlierer erst in den Krieg ziehen und dann versuchen, zu gewinnen. Sunzi.
Wenn Du nichts tun kannst, tu, was Du tun kannst. Conny.

In respektvollem Gedenken an Aaron Swartz http://de.wikipedia.org/wiki/Aaron_Swartz

Benutzeravatar

Lucidare
Beiträge: 2872
Registriert: 19. September 2014, 22:01
Hat sich bedankt: 486 Mal
Danksagung erhalten: 522 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Neu hier

Beitragvon Lucidare » 1. Dezember 2015, 08:00

Hallo Frau Holle,

auch von mir ein herzliches Willkommen. Sicher werden sich @DonQuixote und @Papfl hier auch noch melden.

Frau Holle hat geschrieben:Eine andere Frage, die mich umtreibt: Wie sollen wir uns als Angehörige verhalten? Mein Bruder ist psychisch so angeschlagen, dass er nicht mehr in der Lage ist, die Initiative zu ergreifen. Er ist nicht mal in der Lage, sich am Computer zu informieren. Es wird ja gesagt, man müsse Alkoholiker fallen lassen, damit diese die Kurve kriegen, aber ich weiß nicht...


Wo hin soll er denn noch fallen? Dein Bruder ist schwer erkrankt und braucht jede mögliche Hilfe und ich finde es super, dass Du Dich kümmerst. Du schreibst, er ist im warmen Entzug. Heißt, er ist in der Klinik? Wenn ja, schließt sich ja vielleicht eine Langzeittherapie an. Durch seine Komorbidität (Begleiterkrankung) Angst, muss er an zwei Fronten kämpfen. Hier kann Baclofen schon ein Stück weit helfen. Lies' Dir mal bitte den Craving-Thread durch. Dort wird verständlich erklärt, dass man eigentlich nicht immer so kann, wie man will.

LG
Zuletzt geändert von Lucidare am 1. Dezember 2015, 08:54, insgesamt 1-mal geändert.
Wer aus meinen Texten nicht herauslesen kann, dass ich aus persönlicher Erfahrung schreibe, wird mich sowieso missverstehen. Ronja von Rönne

Benutzeravatar

Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Neu hier

Beitragvon Papfl » 1. Dezember 2015, 08:45

Moin Frau Holle!

Herzlich willkommen im Forum [hi_bye] . Schön, dass Du da bist [smile] .

Die Mär, dass alkoholabhängige Menschen von ihrer Umwelt erst ganz fallen gelassen werden müssen, damit sie alleine wieder aus ihrer "Sucht" herausfinden, hält sich leider hartnäckig - ist aber Quatsch. Bei jeder anderen Krankheit "predigt" man immer wieder, wie wichtig die Unterstützung durch Familie und Freunde bei der Genesung sein kann, nur die "Süchtigen" sollen es bitteschön alleine schaffen. Die moderne Suchtforschung ist diesbezüglich schon etwas weiter, aber die Fortschritte kommen halt leider häufig nicht dort an, wo sie sollten. Mensch (auch Mediziner und Therapeuten) scheut oft die Veränderung [pardon] .

@lucidare hat ja den Beitrag über Craving bereits erwähnt. Craving ("Trinkverlangen") ist mit die häufigste Ursache für Rückfälle. Heute weiß man, dass "Wille", "Disziplin", "Durchsetzungsvermögen" etc. alleine nicht ausreichen, um diesem Trinkverlangen Paroli zu bieten. Am Craving sind auch biochemische Prozesse beteiligt, die die Betroffenen selbst nicht steuern können. Oft ist der Abhängige dem Craving im wahren Wortsinn machtlos ausgeliefert.

Vielleicht magst Du den Beitrag ausdrucken und auch der Familie Deines Bruders (Frau, Kinder) mal zeigen. Einfach, damit sie wissen, dass ihr Mann/Vater das alles nicht mit Absicht macht. Und dass fehlender Wille, Disziplinlosigkeit oder mangelndes Durchsetzungsvermögen nicht der Grund für seine Rückfälle sind. Auch Dein Bruder sollte den Text unbedingt lesen, denn er versteht es selbst wahrscheinlich am wenigsten, warum es ihm - trotz ungeheurer Kraftanstrengung - nicht gelingt, mit dem Trinken aufzuhören.

In diesem Zusammenhang möchte ich Dir auch noch einen weiteren Beitrag empfehlen, der die Unterschiede zwischen der herkömmlichen, traditionellen Suchttherapie und der Behandlung mithilfe von Baclofen veranschaulicht.

Einen ersten Überblick rund um das Medikament bietet unsere Rubrik Baclofen erste Schritte, konkreter im Baclofen-Arztkoffer und Alles Wichtige auf einen Blick. Genaueres zur Dosierung und Therapie findest Du im Leitfaden für die Anwendung.

Lesenswert und aufschlussreich ist auch der Artikel "Baclofen: Ist Alkoholsucht doch heilbar?", den man auch online im PTA-Forum finden kann. Und natürlich das Buch "Das Ende meiner Sucht" von Olivier Ameisen. Der Kardiologe Olivier Ameisen war selbst betroffen und hat Baclofen als Therapieoption bei Abhängigkeitserkrankungen (wieder)entdeckt. Das Buch ist spannend zu lesen! Du kannst die E-Book-Version des Buches auch kostenlos über dieses Forum "ausleihen". Bei Interesse schreibe das bitte einfach in die Private Nachricht (PN) an unseren Admin @DonQuixote mit rein, wenn Du ihn um eine Arztadresse bittest.

Womit ich schließlich bei Deinem eigentlichen Anliegen bin: Da wir unsere Arztadressen aus naheliegenden Gründen nicht öffentlich rausgeben, möchte ich Dich bitten, @DonQuixote kurz mit einer Privaten Nachricht (PN) anzuschreiben und ihm Deinen Wohnort samt Postleitzahl mitzuteilen. Er wird sich dann voraussichtlich gegen Abend bei Dir mit allen Infos melden.

Frau Holle hat geschrieben:Baclofen mildert ja offenbar Ängste– und damit genau eins der Hauptprobleme meines Bruders, mit dem die Trinkkarriere begann.

Das ist richtig. Wir wissen inzwischen, dass Baclofen auch anxiolytische ("angstlösende") und antidepressive Eigenschaften hat. Beim oben erwähnten Olivier Ameisen waren auch Ängste das ursprüngliche Problem. Er nutzte den Alkohol quasi als "Medizin", um seine Ängste zu betäuben.

Olivier Ameisen hat geschrieben:Mein Grundproblem ist nicht der Alkohol, sondern die Angst. Wenn ich die Angst loswerde, werde ich nicht mehr trinken.

Unser Forenmitglied @Lisa hat sehr gute Erfahrungen mit Baclofen bei Angst gemacht. Hier lohnt sich ein Blick in ihren sehr lesenswerten Erfahrungsbericht.

Hoffentlich findet auch der Rest der Familie noch die Kraft, über seinen Schatten zu springen und Deinem Bruder nochmal eine Chance zu geben. Vor Dir ziehe ich meinen Hut :-!? . Ich habe auch eine Schwester, die mich in meiner schwersten Zeit immer unterstützt hat und ohne deren Hilfe ich mit Sicherheit nicht da wäre, wo ich heute bin.

Alles Gute einstweilen!
Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

Thread-Starter
Frau Holle
Beiträge: 4
Registriert: 30. November 2015, 15:14
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Neu hier

Beitragvon Frau Holle » 1. Dezember 2015, 20:57

Guten Abend zusammen,

herzlichen Dank Golden Tulip, Lucidare und Papfl für das warme und nette Willkommen [hi_bye]

und die vielen spannenden Infos und Links. Ich bin dabei, den Crashkurs zu machen, werde aber auch noch ein wenig brauchen, das alles zu verdauen. Vieles steht im Gegensatz, was immer so allgemein über Suchttherapien gesagt wird.

Ich fand immer, dass es sich falsch anfühlt, jemanden im Stich zu lassen, der am Ende ist. Meine Schwägerin und ich erinnern uns noch an den wunderbaren, liebenswerten Menschen, der mein Bruder mal war (und irgendwo tief drinne noch ist). Und diesen Menschen würden wir wahnsinnig gerne wiedertreffen.

Ich würde Euch gerne um Rat zum weiteren konkreten Vorgehen fragen, d.h. An welcher Stelle man Baclofen ins Spiel bringen sollte/könnte/müsste. Im Leitfaden steht ja, dass es eigentlich erst versucht wird, wenn alle anderen Optionen versagt haben. Andererseits nutzen es auch einige offenbar gleich.

Ich schildere mal die Situation.

Mein Bruder hat erst im Herbst eine zehnwöchige Reha gemacht, bei der es zum “kalten Entzug” kam. Mein Bruder hatte verheimlicht, dass er nach der Akutentgiftung wieder getrunken hatte. Er fiel ins Delir und musste in die Intensivstation, weil er in Lebensgefahr schwebte. Er wurde außerdem fixiert und trug dabei schwere Wunden davon. Auch seine Leber scheint schon stark geschädigt...

Wenn ich das richtig deute, heißt das, dass es sehr viel ernster steht, als er selbst und auch die Familie es wahrhaben wollten. Der “kalte” Entzug war fraglos seine “Schuld”, aber das Erlebnis hat ihn eindeutig noch mehr verstört, traumatisiert und entmutigt. In der Klinik bat er erstmals in seinem Leben selbst um Einzeltherapie. Die es allerdings nicht gab. Nach dem Verlassen der Reha dauerte es keine 48 Stunden, bis er wieder anfing zu trinken.

Im Moment ist er wieder in einer anderen Klinik zur (medikamentengestützten) Akutentgiftung. Danach ist eine 18monatige Therapie geplant, die daraus besteht, dass er zwei Mal in der Woche bei der Diakonie Gespräche hat und außerdem einmal in der Woche zu den AA gehen soll.

Meine Schwägerin und ich haben große Zweifel, dass diese Therapie ausreicht. Wie Lucidare es auf den Punkt bringt, kämpft mein Bruder wegen der Panik/Angst und Depressionsproblematik, die überhaupt der Start für seine Trinkkarriere war, an zwei Fronten.

Nun glaube ich schon, dass die Treffen in den AA-Gruppen helfen können. Allerdings habe ich gelesen, dass die AA Arzneien wie Baclofen sehr ablehnend gegenüberstehen und dies nicht haben wollen.

Wenn mein Bruder Baclofen nehmen würde, würde er dann im schlimmsten Fall den Rauswurf bei den AA oder sogar auch der Diakonie, also das Ende dieser "Therapie" riskieren?

Meine Idee wäre es, erstmal zu schauen, wie er auf diese “Therapie” reagiert. Und falls diese Langzeittherapie nicht hilft, dann auf Baclofen zu setzen. Meint Ihr, dies ist ein gutes Vorgehen? Oder sollte man angesichts des ernsten Zustandes meines Bruders gleich begleitend auf Baclofen setzen, auch wenn es die AA nicht toll finden?

Lieben, lieben Dank für Eure Hilfe,
Frau Holle

Benutzeravatar

Thread-Starter
Frau Holle
Beiträge: 4
Registriert: 30. November 2015, 15:14
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Neu hier

Beitragvon Frau Holle » 1. Dezember 2015, 20:59

PS. @Papfl: Das Zitat von Ameisen "Mein Grundproblem ist nicht der Alkohol, sondern die Angst. Wenn ich die Angst loswerde, werde ich nicht mehr trinken" - trifft den Nagel auf den Kopf

Benutzeravatar

Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Neu hier

Beitragvon Papfl » 1. Dezember 2015, 22:19

Hallo Frau Holle!

Wenn Dein Bruder momentan in der Entgiftung ist, erfüllt er anschließend die besten Voraussetzungen für den Beginn einer Baclofen-Therapie. Erfahrungsgemäß erzielt man den besten Erfolg mit dem Medikament, wenn man abstinent beginnt und dann langsam angelehnt an das Schema im Leitfaden für die Anwendung die Dosis steigert.

Frau Holle hat geschrieben:Danach ist eine 18monatige Therapie geplant, die daraus besteht, dass er zwei Mal in der Woche bei der Diakonie Gespräche hat und außerdem einmal in der Woche zu den AA gehen soll.

Zweimal wöchentlich Gespräche bei der Diakonie finde ich gut, von AA würde ich persönlich eher abraten. Ich vermute mal, die 18-monatige Therapie besteht aus den Gesprächen bei der Diakonie und der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe. Die können ja keine bestimmte vorschreiben. Es gibt andere Selbsthilfegruppen, die meiner Erfahrung nach gerade bei einer medikamentengestützten Aufrechterhaltung der Abstinenz toleranter sind (obwohl ich Baclofen am Anfang in der Selbsthilfegruppe gar nicht thematisieren würde - wie Du ganz richtig ansprichst, ist man dort in der Tat manchmal etwas voreingenommen). Muss natürlich jeder für sich selbst entscheiden, aber es macht meines Erachtens wenig Sinn, sich da unnötige Steine in den Weg zu legen.

Die "Freundeskreise" sind sehr zu empfehlen, auch mit dem "Blauen Kreuz" habe ich ganz gute Erfahrungen gemacht. Am Ende kommt es halt immer darauf an, dass die Chemie zwischen dem Betroffenen und der Gruppe stimmt. Deshalb ruhig ein paar Gruppen ausprobieren und dort hingehen, wo man sich am wohlsten fühlt. Wenn Ihr vor Ort eine super AA-Gruppe habt, in der sich Dein Bruder gut aufgehoben fühlt, dann kann's natürlich auch die sein :wink: .

Auf jeden Fall sollte Dein Bruder unmittelbar nach der Entlassung aus der Klinik jetzt mit Baclofen beginnen. Da ihm das Medikament das "physische Craving" nehmen kann, ist das jetzt erstmal der wichtigste erste Baustein. Vielleicht kannst du Dich ja im Vorfeld schon mal um einen Arzttermin bemühen (Adressen bekommst Du von @DonQuixote, siehe oben), damit einer zeitnahen Verschreibung nichts im Wege steht.

Baclofen schafft erst die Voraussetzungen dafür, dass sich Dein Bruder auf die Gespräche bei der Diakonie und in der Selbsthilfegruppe konzentrieren und einlassen kann. Solange sein ganzes Denken nur um Alkohol kreist (und das ist beim "physischen Craving" leider der Fall), kann er mit dem Kopf gar nicht richtig bei der Sache sein, und es ist erfahrungsgemäß oft nur eine Frage der Zeit, bis man dann wieder zur Flasche greift. Längerfristig könnte man dann eventuell auch über eine zusätzliche begleitende Psychotherapie (ambulant) nachdenken.

Frau Holle hat geschrieben:Auch seine Leber scheint schon stark geschädigt...

Dann ist es umso wichtiger, dass er versucht, abstinent zu bleiben. Baclofen ist das einzige Medikament bei der Behandlung der Alkoholabhängigkeit, das auch bei (schweren) Leberschäden noch eingesetzt werden kann, weil es zum größten Teil über die Nieren verstoffwechselt wird und die Leber kaum belastet.

Frau Holle hat geschrieben:Nach dem Verlassen der Reha dauerte es keine 48 Stunden, bis er wieder anfing zu trinken.

Genau deshalb solltet Ihr wirklich möglichst sofort nach der Entlassung aus der Klinik mit Baclofen anfangen. Wenn Dein Bruder abstinent mit der Einnahme des Medikaments beginnt, werden sich erfahrungsgemäß schon bald erste Erfolge einstellen. Baclofen kann genau das ausschlaggebende Quentchen sein, das Deinem Bruder hilft, diesmal nicht nach 48 Stunden rückfällig zu werden. So ein erster Erfolg gibt dann auch Motivation und Selbstvertrauen für die weiteren Schritte der Therapie.

Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

Lucidare
Beiträge: 2872
Registriert: 19. September 2014, 22:01
Hat sich bedankt: 486 Mal
Danksagung erhalten: 522 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Neu hier

Beitragvon Lucidare » 2. Dezember 2015, 09:15

Hi Frau Holle,

Frau Holle hat geschrieben:Ich fand immer, dass es sich falsch anfühlt, jemanden im Stich zu lassen, der am Ende ist. Meine Schwägerin und ich erinnern uns noch an den wunderbaren, liebenswerten Menschen, der mein Bruder mal war (und irgendwo tief drinne noch ist). Und diesen Menschen würden wir wahnsinnig gerne wiedertreffen.


Den lieben Menschen kann man auch wiedertreffen. Ich hätte das alleine wohl auch nicht geschaft. Ich hatte aber ein starkes Team am Start.

Frau Holle hat geschrieben:Nach dem Verlassen der Reha dauerte es keine 48 Stunden, bis er wieder anfing zu trinken.


Dieser "Käseglockeneffekt" ist nicht ungewöhnlich. Ging Prof. Ameisen so, ging mir so und vielen anderen auch. Der Schutz des Krankenhauses ist weg, zuhause wird man sich seiner Lage wieder bewußt. Die Angst kommt wieder, Schamgefühl, und ab geht die Post. Man muss auch bedenken, dass in der "Akutpsychatrie" gerne Tavor und Diazepam gegeben wird und zum Ende der Therapie wieder mühsam ausgeschlichen werden muss. Und genau an diesem Punkt muss z. B. mit Baclofen weiter behandelt werden. Leider werden die Leutchen dann "halbgesund" nach Hause geschickt und das Peronal wundert sich, warum sie nach drei Tagen wieder vor der Tür stehen. @Papfl hat das ja hier beschrieben.

Frau Holle hat geschrieben:Meine Schwägerin und ich haben große Zweifel, dass diese Therapie ausreicht. Wie Lucidare es auf den Punkt bringt, kämpft mein Bruder wegen der Panik/Angst und Depressionsproblematik, die überhaupt der Start für seine Trinkkarriere war, an zwei Fronten. ]


Huhn oder Ei? Was war zuerst da? Alkohol durch Angst oder Angst durch Alkohol? Ist aber eh' egal. Sie ist da und muss behandelt werden. Es kann sein, das sich die Angst ohne Alkohol bessert. Muss aber nicht. Die Hirnchemie ist reichlich durcheinander. Hast Du diese Animation mal Deiner Schwägerin gezeigt? Die Eigenproduktion der Glückshormone muss erst wieder in Gang kommen. Das kann man durch Sport usw. aber auch durch zusätzliche Medikamente unterstützen.

Hat Dein Bruder eine/n Neurologin/en oder Psychater/in am Start?

LG
Wer aus meinen Texten nicht herauslesen kann, dass ich aus persönlicher Erfahrung schreibe, wird mich sowieso missverstehen. Ronja von Rönne

Benutzeravatar

DonQuixote
Beiträge: 5159
Registriert: 15. Dezember 2011, 14:48
Hat sich bedankt: 713 Mal
Danksagung erhalten: 832 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN
Kontaktdaten:

Re: Neu hier

Beitragvon DonQuixote » 2. Dezember 2015, 23:21

Hola Frau Holle

Die Mail mit den Arztadressen ging soeben raus.

DonQuixote [hi_bye] .

Benutzeravatar

Thread-Starter
Frau Holle
Beiträge: 4
Registriert: 30. November 2015, 15:14
Mann oder Frau?: Ich bin eine FRAU

Re: Neu hier

Beitragvon Frau Holle » 4. Dezember 2015, 21:38

Guten Abend, [hi_bye]

lieber @DonQuixote Mail ist angekommen. Ganz, ganz herzlichen Dank für die Hilfe!!!

Wir werden es jetzt erstmal mit dem "Arztkoffer" beim Hausarzt versuchen, auch wenn wir eher skeptisch sind, ob der mitspielt. Wenn nicht, versuchen wir einen Termin bei den anderen Ärzten zu bekommen.

Mein Bruder ist aus der Akutpsychiatrie raus und schon wieder rückfällig. Alles nicht schön.

Ich habe noch ein paar praktische Fragen.

Lieber @Papfl, Du schreibst: "Auf jeden Fall sollte Dein Bruder unmittelbar nach der Entlassung aus der Klinik jetzt mit Baclofen beginnen". Verstehe ich das richtig, dass Baclofen NICHT und AUF KEINEN FALL für die Akutentgiftung geeignet ist (zumindest bei Schwerkanken) , sondern für die Dauertherapie DANACH.

Also mein Bruder muss, da er rückfällig geworden ist, erst wieder eine Akutentgiftung machen und wir müssten sehen, dass er NACH DER AKUTENTGIFTUNG diesmal nahtlos eine Baclofen-Behandlung beginnen könnte? Ansonsten bestünde die Gefahr, dass er wieder ins Delir fällt? Sehe ich das so richtig?

@Lucidare: Nein, mein Bruder hat keinen Psychiater oder Neurologen. Und auch für Sport, Meditation und anderen Sachen kann man ihn kaum begeistern. Er scheint im Moment überhaupt keinen Lebensmut/willen mehr zu haben und sich selbst aufzugeben. d.h er ist auch für vieles nicht zugänglich. Meine Hoffnung ist auch ein wenig, dass ihn Baclofen zumindest erahnen lässt, dass das Leben auch ohne Alkohol erträglich sein kann.

Ansonsten sehe ich nur die Möglichkeit einer stationären Reha, wobei die letzte offenbar ein Witz war. Gibt es eigentlich Reha-Suchtkliniken, die einen guten Ruf und höhere Erfolgsquoten haben? Namen auch gerne per PN.

Euch allen ein ganz dickes Dankeschön!!!

Liebe Grüße und ein schönes Wochenende,
Frau Holle

Benutzeravatar

Papfl
Beiträge: 2509
Registriert: 28. Juli 2012, 14:25
Hat sich bedankt: 284 Mal
Danksagung erhalten: 736 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Neu hier

Beitragvon Papfl » 4. Dezember 2015, 22:24

Hallo Frau Holle!

Schade, dass das mit dem nahtlosen Übergang diesmal nicht geklappt hat...Dein Bruder scheint ja ziemlich frustriert und hoffnungslos zu sein... [unknown]

Baclofen könnte ihm wirklich helfen, damit er nach einer Entgiftung nicht mehr zwingend trinken MUSS, aber ein bisschen Motivation sollte er schon auch aufbringen. Wenn er dem Medikament nicht die Chance gibt, ihm zu zeigen, was es kann, wird das auch mit Baclofen schwer.

Frau Holle hat geschrieben:Also mein Bruder muss, da er rückfällig geworden ist, erst wieder eine Akutentgiftung machen und wir müssten sehen, dass er NACH DER AKUTENTGIFTUNG diesmal nahtlos eine Baclofen-Behandlung beginnen könnte? Ansonsten bestünde die Gefahr, dass er wieder ins Delir fällt? Sehe ich das so richtig?

Ob Dein Bruder wieder in die Entgiftung muss, hängt auch davon ab, wie viel er inzwischen wieder trinkt. Sicherer wär's auf jeden Fall. Er scheint momentan sehr labil zu sein, deshalb würde ich den professionellen Weg vorziehen. In einer Klinik kann eher dafür gesorgt werden, dass er nicht krampft oder schlimmstenfalls in ein Delir fällt. Außerdem werden die Entzugsschmerzen dort auch minimiert. Ich befürchte, dass eine mehr oder weniger kalte Entgiftung in Eigenregie Euch in der jetzigen Situation überfordern würde.

Vielleicht könntet Ihr die Zeit der Akutentgiftung dann auch nutzen, um Baclofen zu besorgen und den Bruder ein bisschen aufzubauen und zu motivieren. Damit auch er selbst - wenn er entgiftet hat - diesen Versuch mit Baclofen machen MÖCHTE. Solange er in der Entgiftung (überspitzt gesagt) nur darauf wartet, bis er wieder raus kommt und weiter trinken kann, stehen auch die Chancen mit Baclofen ungünstig.

Ideal wäre es, wenn er in einer der wenigen Kliniken entgiften könnte, die Baclofen akzeptieren. Dort könnte Dein Bruder dann professionell entgiftet und parallel auf Baclofen eingestellt werden. Da müsste @DonQuixote vielleicht nochmal schauen, ob es irgendwas in dieser Art in Eurer Umgebung gibt.

Ich bin mir sicher, wenn Dein Bruder die ersten positiven Erfahrungen mit Baclofen gemacht hat, wird er viele Dinge wieder mehr zu schätzen wissen. Aber diese erste Chance müsste er dem Medikament halt auch geben...

Nur der Vollständigkeit halber: Man kann mit Baclofen auch entgiften, davon würde ich in Eurem Fall in der jetzigen Situation und ohne ärztliche Unterstützung aber aus den oben genannten Gründen abraten. Zumal Dein Bruder ja noch gar keine Erfahrung mit Baclofen hat und man nicht weiß, wie und ob er das Medikament verträgt.

Mit dem "nahtlosen Übergang" in meinem oberen Beitrag hatte ich ursprünglich schon an eine Art "Langzeittherapie" mit Baclofen gedacht. Also, dass Dein Bruder nach der Entgiftung möglichst abstinent mit Baclofen beginnt und in kleinen Schritten aufdosiert, damit so nach und nach das Craving - das maßgeblich für die Rückfälle verantwortlich ist - verschwindet. Wenn das mit dem abstinenten Beginn nicht ganz hinhaut - ich könnte mir vorstellen, dass ihm das vielleicht momentan etwas gegen den Strich geht [unknown] - dann könnte man auch die ersten +/- zwei Wochen einen Kompromiss in Betracht ziehen. Soll heißen: Alkohol in Maßen, der langsam ausgeschlichen wird und parallel dazu langsames Einschleichen von Baclofen.

Die alles entscheidende Frage bleibt aber letztendlich: Was MÖCHTE Dein Bruder?

Alles Gute einstweilen und viel Kraft!
Papfl
„Der Hori­zont vie­ler Men­schen ist wie ein Kreis mit Radius Null. Und das nen­nen sie dann ihren Stand­punkt."
Albert Ein­stein (1879 - 1955)

Benutzeravatar

DonQuixote
Beiträge: 5159
Registriert: 15. Dezember 2011, 14:48
Hat sich bedankt: 713 Mal
Danksagung erhalten: 832 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN
Kontaktdaten:

Re: Neu hier

Beitragvon DonQuixote » 4. Dezember 2015, 23:02

Holla Frau Holle

In den beiden Einrichtungen, welche ich dir genannte habe, siehe Mail vom 2. Dezember 20:52, könnte wahrscheinlich bereits während der stationären Entgiftung mit Baclofen begonnen werden. Aber wirklich sicher bin ich nicht, da musst Du mal fragen.

DonQuixote

Benutzeravatar

Lucidare
Beiträge: 2872
Registriert: 19. September 2014, 22:01
Hat sich bedankt: 486 Mal
Danksagung erhalten: 522 Mal
Mann oder Frau?: Ich bin ein MANN

Re: Neu hier

Beitragvon Lucidare » 5. Dezember 2015, 11:43

Hi Frau Holle,

hast Du mal überlegt, Dir professionelle Hilfe zu suchen? Wende Dich doch mal an den sozialpsychatrischen Dienst vor Ort.

Menschen, die an einer seelischen Störung leiden, haben einen gesetzlichen Anspruch auf Hilfe (NPsychKG*) Gemäß dieser Grundlage bietet der sozialpsychiatrische Dienst umfassende fachliche Beratung und Hilfe an.


Die Leutchen kennen die "Szene" (Ärzte, Kliniken etc.) vor Ort ganz gut und ich denke mal, es wäre auch für Dich eine Entlastung.

LG
Wer aus meinen Texten nicht herauslesen kann, dass ich aus persönlicher Erfahrung schreibe, wird mich sowieso missverstehen. Ronja von Rönne


Zurück zu „Anlaufstelle für Angehörige von Alkoholabhängigen“

Wer ist online?

Mitglieder in diesem Forum: 0 Mitglieder und 0 Gäste