Hallo Mellchen!
An Deinem geschilderten Beispiel kann man sehr schön festmachen, wie Baclofen funktioniert. In gewisser Weise ist es eine schöne, anschauliche Ergänzung zum
"Craving-Thread".
Mellchen hat geschrieben:Da kam so eine Art Tunnel, ich konnte nur auf ihr Sektglas schauen und bekam von ihren Ausführungen kaum noch etwas mit. Ich dachte, dass ich jetzt UNBEDINGT was trinken MUSS, und gleichzeitig kamen ganz viele rechtfertigende Gedanken, so wie "ja, nach so einem Hammer würde das jeder verstehen" etc.
Genau solche Situationen sind es, die ganz häufig zum Rückfall führen...irgendwas bricht über einen herein, und es scheint wirklich nur noch diesen einen Ausweg zu geben --> möglichst schnell trinken! Die oberflächlichen "
WARUM-Rechtfertigungen" lassen nicht lange auf sich warten und räumen eventuelle letzte Zweifel aus, so dass sehr schnell unumkehrbar klar wird, dass es jetzt einfach unbedingt sein muss.
Was da vermeintlich gedanklich abläuft, ist im Grunde eine Art "Alibi-Veranstaltung". Die Trinkentscheidung ist "im Hirn" längst gefallen. Es wird halt versucht, die
kognitive Dissonanz einigermaßen in Einklang zu bringen. Wirklich willentlich beeinflussen können wir diese Trinkentscheidung eigentlich nicht mehr, weil die biochemischen Weichen längst gestellt sind -->
physisches Craving ("Trinkzwang").
Baclofen vermag es glücklicherweise, diesem typischen biochemischen Ablauf im "suchtgeprägten Hirn" einen Riegel vorzuschieben. Weil Du durch die konsequente, regelmäßige Einnahme des Medikaments einen gleichbleibenden "Baclofenspiegel" in Deinem GABA-System aufgebaut hast, können diese Automatismen nicht mehr so stattfinden, wie sie das bei Abhängigen für gewöhnlich tun. Ohne die "Krücke" Baclofen wärst Du diesem "Trinkzwang" wahrscheinlich hilflos ausgeliefert gewesen, weil man das
physische Craving nunmal nicht willentlich beeinflussen kann
.
Dank Baclofen aber konntest Du überhaupt erst reflektieren:
Du MUSSTEST nicht mehr zwingend trinken, Du KONNTEST frei entscheiden, ob Du das JETZT wirklich möchtest. Mellchen hat geschrieben:Dann habe ich gedacht, gut, wenn es eben nicht anders geht, bestelle ich jetzt auch ein Glas! Fertig. Und mit diesem Gedanken war der Trinkwunsch praktisch schon gegessen.
Selbst wenn Du Dir das Glas bestellt hättest, und es vor Dir auf dem Tisch gestanden hätte, wärst Du vom Kopf her immernoch in der Lage gewesen, bewusst zu entscheiden:
Nehm' ich jetzt einen Schluck oder lass' ich's bleiben? Weil Baclofen Dir Deine Entscheidungsfreiheit zurück gegeben hat.
Dieser entscheidende Gedanke
Nehm' ich jetzt einen Schluck oder lass' ich's bleiben? wäre für einen nicht behandelten süchtigen Menschen in der Form wahrscheinlich gar nicht mehr möglich gewesen, weil das "biochemische Verlangen" solche Gedanken nicht mehr zulassen würde.
Du hattest die Möglichkeit, weil es in Deinem Kopf gestern dank des "Baclofenspiegels" ungefähr so aussah:
Ohne Baclofen hätten die Neuronen getobt, und ein Entscheidungsprozess wäre höchstwahrscheinlich nicht mehr möglich gewesen, weil das "Neuronenfeuerwerk" alles andere überlagert hätte:
Mellchen hat geschrieben:Die Funktionsweise so einer Notfallration ist mir noch nicht ganz klar, da ich dachte, Balclofen baut sich langsam im Körper auf. Da hilft es trotzdem in Akutsituationen?
Das ist richtig. Durch die regelmäßige, über den Tag verteilte Einnahme von Baclofen baut sich ein "Baclofenspiegel" auf, von dem Du gestern ja auch profitiert hast. Nun kann es aber Situationen geben, in denen die Trigger ganz besonders "hartnäckig" sind oder in denen der "Baclofenspiegel" gerade wieder etwas nachlässt, weil die letzte Einnahme schon Stunden her ist.
Dann kann es hilfreich sein, eine kleine Extra-Ration Baclofen ("Notfalldosis") - je nach aktueller Dosierung 1/2 bis 1 Tablette - akut zusätzlich einzunehmen. Wenn man die Tablette zerkaut und/oder unter der Zunge zergehen lässt, gelangt der Wirkstoff etwas schneller ins Blut und man spürt bereits nach 10-15 Minuten eine deutliche Entspannung.
Wenn Du das Verlangen gestern nicht "
psychisch" in den Griff bekommen hättest, wäre ein möglicher nächster Schritt die Notfalldosis gewesen. Und wenn's dann immer noch nicht aufgehört hätte, dann...
...aber:
Papfl hat geschrieben:Meist erledigt sich das dann von ganz alleine.
Auf jeden Fall gibt's für Deinen gestrigen Tag einen dicken Extra-Daumen
!
Papfl