Tach zusammen.
Liebe Conny,
Du hattest mich um Input gebeten wegen Deiner 8/23-Abstinenz.
Ich möchte mit einer - rhetorischen, Du hast sie unten ja schon beantwortet - Frage anfangen: wie ist das weitergegangen? Bist Du abgestürzt, immer tiefer zurück in den Alkoholsumpf geschliddert und in der Gosse gelandet? Oder hast Du Dich am Riemen gerissen, irgendwas von "verdammte Axt" gemurmelt und bist in die alkfreie Zone zurückgekehrt?
Gut, Du hast die Messlatte watt hoch gelegt und bist schwungvoll 'drunterhergesprungen.
Da weißt Du, wie hoch Du zur Zeit kommst. 8 Tage ohne, wenn ich Dich richtig gelesen habe, relativ mühelos (klar, dass man gelegentlich Versuchungen umschiffen muss, aber schwer war's ja wohl nicht, oder?). 120 Gramm Alkohol verteilt auf neun Tage. WHO-mäßig gibt das noch Abzüge in der B-Note, da Du Dir die 120 Gramm auf eine Rutsche gegönnt hast, aber mal ehrlich: am Samstag nach dem Fußball paar Bier und paar Absacker? Welcher Normalo würde darüber überhaupt nachdenken, geschweige denn sich in Richtung AA aufmachen?
Insofern: kein Scheitern, ein Schritt in Richtung Normalität. Die theoretisch dann erreicht wäre, wenn Dir irgendwann ein ähnlicher Konsum ohne jeden Gedanken darüber gelingt. Was praktisch, glaube ich, für gebrannte Kinder unmöglich sein wird, aber time will tell.
Ich möchte noch eine Frage loswerden und rede dabei durchaus in den Spiegel: bist Du alkoholabhängig?
o.k., Du schaffst nichtmal mit Anlauf drei Wochen ohne. Schade. Du kommst aber jederzeit auf Zuruf aus der Schenke wieder 'raus und landest nicht in bekannter Gosse.
Mach' den Test:
drei Wochen ohne:
- Alkohol oder
- motorisierte Fortbewegung (auch wenn's regnet und Du 'nen Sack Kartoffeln brauchst oder
- Internet (Banküberweisungen gehen auch heute noch vor Ort, eine automatische Mailantwort "bin drei Wochen offline, bitte rufen Sie mich an unter..." ist in drei Minuten eingerichtet) oder
- Getreideprodukte und Zucker (Dein Immunsystem wird's Dir danken. Veggies: veggucken. Der Mensch ist Jäger und Sammler. Rehrücken mit Preiselbeeren ist weit artgerechtere Haltung für den Menschen als Vollkornbrötchen mit Tofuwurst)
Ich halte jede Wette, dass Du nach acht Tagen wegen restlos zerfaserter Nerven die Tapete von der Wand kratzt, heimlich ein Croissant isst und mit dem iPhone in der UBahn surfst.
So, und wo is' nu' das Problem mit dem Alkohol?
Ich hatte schonmal gefragt: wer definiert eigentlich?
Ich für mich.
Du für Dich.
Dann wird das auch was.
Ich werfe mal ein Theoriebröckchen ins Rund zum abnagen: Du und ich (und Typen wie wir), wir sind ein paar hyperintelligente Bestien, die Ihre grenzenlose Weisheit nicht für die Karriere (im herkömmlich westlichen Sinne) nutzen, sondern um sehr geschickt und ohne Anstrengung durch die Fahrwasser des Lebens zu kommen. Faule Säcke, die von lieb gewonnenen Gewohnheiten nicht recht lassen können. Fremde Ansprüche erregen nur Widerspruch, je mehr Zuspruch eine Position erhält, desto fragwürdiger erscheint sie uns. Ich weiß, dass ich Scheiße geredet habe, wenn alle applaudieren.
Wir sind alles mögliche.
Alkoholiker sind wir nicht. GABA-Defizite? Geschenkt! Baclofen kann uns gar nicht dauerhaft helfen, da es unser Problem nichtmal berührt, geschweige denn löst. Das ist wie der Versuch, das Elbehochwasser mit Feuer zu bekämpfen.
Definier' Dich mal so und guck' was passiert. Viel Spaß!
Viel Erfolg weiter auf dem Weg zurück in die Normalität.
Herzliche Grüße
Willo
edit: Schreibfehler