Fast auf den Tag genau sechs Jahre ist die zentrale Kehrtwende in meinem Leben nun her, die als Schwur zur ewigen Abstinenz mit Baclofen begann und in die Rückkehr ins Leben mündete.
Diese sechs Jahre hat es gebraucht, um aus dem kleinen, verbitterten, hoffnungslosen und an der Welt und – vor allem – an sich und dem Sinn seines Lebens zweifelnden Willo den Willo zu machen, der hier heute seinen letzten Beitrag schreibt.
Es ist gesagt, was zu sagen war, geschrieben, was zu schreiben war und getan, was zu tun in meiner Macht stand.
Time to move on.
Ich danke jeder und jedem aus der gesamten Baclofen-Szene für die kleinen und großen Mosaiksteinchen, die so viele von Euch und Ihnen bereitwillig zu dem Bild hinzugefügt haben, das ich heute sehe, wenn ich die Augen schließe.
Ich denke und hoffe, ich konnte im Laufe der Jahre auch hier und da etwas zurückgeben und habe vielleicht meinen Teil daran, dass auch andere Menschen wieder mit Hoffnung, Zuversicht und Stolz auf ihre jeweilige Zukunft schauen.
Viel gelernt habe ich in der Zeit. Zum einen ist das durchaus im schulischen Sinne zu verstehen, ich habe ein Studium (fast) abgeschlossen und bereits angefangen, in dem Bereich zu arbeiten. Ich habe aber auch viel über mich und meine Sicht der Welt gelernt, und daran einiges – nicht alles – überdacht und überarbeitet.
Um das zu tun, musste ich vor allem eins ändern: ich habe die eisernen Ketten „abgeworfen“, die mir schon als Kind angelegt worden sind. Angelegt, damit aus dem Wurm nie der Drache werde, der, seine Kraft und seine Möglichkeiten kennend, friedlich durch den warmen Sommerwind segelt. Würmer sind so viel leichter zu kontrollieren. So fehlte mir natürlich jede Flugerfahrung und ich musste lernen, gesehen zu werden, aber natürlich auch, nun meinerseits meine Kraft zu kontrollieren.
Und Ketten „abgeworfen“, ja. Als ginge das so einfach. Ich musste sie erst sehen lernen, um sie hinter mir lassen zu können. Noch etwas, das ich gelernt habe in den sechs Jahren: was nutzt es, wenn ich es allen recht mache – außer mir?
Dann, wenn man plötzlich gesehen wird, muss man kämpfen lernen, dachte ich immer. Aber das ist gar nicht so einfach: kämpft man mit offenem Visier, stellt man fest, dass das gar nicht alle so handhaben und manch einer genau auf diese Schwäche, die eigentlich ehrenhafte Stärke ist, gewartet hat. Klappt man das Visier 'runter, kann man sich auch selbst nicht mehr in die Augen sehen.
Aber: muss man denn eigentlich wirklich kämpfen? Wer sagt das? Hat der, der kämpfen muss, nicht schon längst verloren?
Ich habe in diesen sechs Jahren etliches an Höhen und Tiefen durchmessen. Im Schnitt ging es kontinuierlich aufwärts, aber das merkt man während der Tiefen leider nicht. Ich habe mich selbst kennen gelernt, meine Sicht auf die Welt ein bisschen scharf gestellt, ich habe Menschen im echten Leben getroffen, denen das, was ich kann und mache, tatsächlich etwas bedeutet. Ich fühle mich erstmals seit der Grundschule - und die ist immerhin rund 40 Jahre her – nicht mehr wie der Fisch, den man nach seiner Fähigkeit, auf Bäume zu klettern, beurteilt.
Und das wichtigste überhaupt: ich habe es geschafft, meine Familie auf diesem Weg mitzunehmen. Naja, manchmal auch: mitzuzerren.
Mein letzter echter Rückfall vor knapp einem Jahr hing an zwei Dingen: meine beruflichen Pläne schienen sich in Luft aufzulösen. Und ich habe nicht mehr gesehen, wie meine Frau, die ich mehr liebe, als es Worte zu beschreiben vermögen, und ich, wie wir noch gemeinsam alt werden wollen, wenn die Kinder versorgt und wir wieder für uns sind. Da schien so gar keine Basis mehr zu sein und ich habe nicht mal verstanden, wann sie uns weggebrochen war im Alltag. Sie auch nicht, und das will schon was heißen. Immerhin ist sie intelligenter als ich, und das will nun wirklich was heißen.
Ich weiß, dass Du auch nach sechs Jahren noch mitliest. Danke Dir dafür.
Ich liebe Dich. ἄτομος.
Es ist an der Zeit, hier zu gehen, ich will noch ein paar Kröten verdienen für unseren Altersruhesitz:
Ich habe die PN-Funktion abgeschaltet, die Mailadresse, unter der ich hier angemeldet war, auch. Ich habe mein Passwort per Zufallscode geändert und es mir nicht notiert.
Ich ziehe den Schlüssel hier heute ab und werfe ihn ins Meer.
Wer jetzt auf einen tränenerstickten Abschied à la „Time to say Goodbye“ wartet, hat den Text noch nicht verstanden.
Aufdrehen, genießen, mitsingen. Leben, den Inhalt leben:
Lebt wohl und macht nix, was ich nicht auch täte.
Ihr und Euer
WilloStatistik: Verfasst von WilloTse — 14. März 2016, 12:02
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