Brandneu (2. Juni 2015) ist diese Studie:
Ich fange dann mal gleich mit der Übersetzung des englischen Abstracts an:
(Linksetzungen von mir.)DonQuixotes Übersetzung des englischen Abstracts hat geschrieben:
Zielsetzung: Ziel dieser Studie war die Untersuchung der Verträglichkeit von hoch dosiertem Baclofen bei Patienten mit Alkoholstörung in ihrem ersten Jahr der Behandlung.
Methode: In Betracht gezogen wurden alle Patientenakten eines Allgemeinpraktikers, welcher seinen Patienten Baclofen verschrieb. Alle diese Patienten welche kontaktiert werden konnten wurden zu den von ihnen erfahrenen Unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs, „Nebenwirkungen“) in der Vergangenheit befragt.
Resultate: Von den 146 möglichen Patienten konnten 116 (79 %) befragt werden. Darunter 90 Patienten (78 %) berichteten von mindestens einer UAW (im Durschnitt: 2,8 ± 2,7). Die durchschnittliche Dosis beim ersten Auftreten einer UAW betrug 83 (± 57) mg / Tag. Die am meisten genannten UAWs betrafen bei 73 Patienten (63 %) den Bereich der Schlaf-Wach-Regulation. Beständig auftretende UAWs traten bei 62 Patienten (53 %) auf. Acht Patienten (7 %) litten unter UAWs, welche sie zum Abbruch der Baclofen-Therapie zwangen. Deren Baclofen-Dosis lag zu diesem Zeitpunkt unter 90 mg / Tag. Wach-, respektive Aufmerksamkeitsstörungen sowie Depression waren die meist genannten UAWs, welche zu einem solchen Therapieabbruch führten. Müdigkeitsanfälle und hypomanische Zustände waren die potentiell gefährlichsten UAWs. Frauen berichteten signifikant über mehr UAWs als Männer.
Schlussfolgerung: Hoch dosiertes Baclofen setzt alkoholabhängige Patienten vielerlei UAWs aus. Bereits in geringer Dosis auftretende und generell auch anhaltende UAWs können gefährlich sein.
Wie Ihr seht, respektive lest, werden da klare, und auf den ersten Blick auch etwas verwirrende Worte gesprochen, respektive geschrieben. Ich mache dann also gleich weiter mit der Übersetzung des Kapitels „Diskussion“ (engl: Discussion):
(Linksetzungen von mir.)DonQuixotes Übersetzung des englischen Kapitels „Discussion“ hat geschrieben:
- Kurzdarstellung (Summary)
Unsere Resultate zeigen auf, dass Baclofen sehr häufig und auch bei relativ kleiner Dosierung verschiedenste und generell auch anhaltende UAWs verursacht. Am meisten genannt wurden Beeinträchtigungen der Schlaf-Wach-Regulation. Aufmerksamkeitsstörungen traten bereits bei geringer Dosierung auf und führten am häufigsten zum Therapieabbruch.
- Einschränkungen und Aussagekraft
Unsere rein beobachtende Studie ist mit einigen Einschränkungen behaftet. Die in einer Rückschau erhobenen Daten führten sicherlich zu einer Unterschätzung der Häufigkeit des Auftretens von UAWs. Diese nachteilige Konstellation dürfte allerdings weniger Auswirkungen haben, wenn es um die unangenehmsten UAWs geht, welche zu einem Therapieabbruch führten oder das Erreichen der therapeutisch notwendigen Dosis verunmöglichten. Abgesehen davon ist es möglich, dass einige Patienten, welche für ein Interview nicht erreicht werden konnten, ihren behandelnden und Baclofen verschreibenden Arzt nicht mehr aufsuchten, weil sie das Medikament schlecht vertrugen, und dies in unserer Studie zu einer Unterschätzung der Häufigkeit des Auftretens von UAWs geführt hat.
Des Weiteren waren psychiatrische Begleiterkrankungen und die Behandlung mit Psychopharmaka bei denjenigen Patienten häufiger anzutreffen, welche nicht interviewt werden konnten. Es ist also wahrscheinlich, dass Patienten mit psychischen Begleiterkrankungen und solche, welchen Psychopharmaka verschrieben werden, vermehrt unter UAWs litten und aus der Behandlung ausschieden und nicht interviewt werden konnten. Patienten weiblichen Geschlechts, und dies ist unseres Wissens die erste Studie die dies nahelegt, scheinen vermehrt von geringer Toleranz respektive häufigeren UAWs betroffen zu sein.
Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die UAWs keinesfalls mit Sicherheit dem Medikament Baclofen zugeschrieben werden können. Unsere Studie hatte nur beschreibenden Charakter und sollte das von den Patienten beschriebene Empfinden in einer praxisnahen Situation aufzeichnen, nicht jedoch kausale Zusammenhänge untersuchen. Die Tatsache, dass viele Patienten gleichzeitig Psychopharmaka und/oder auch Alkohol einnahmen, kann deshalb, und auch angesichts von weiteren möglichen Wechselwirkungen, zu anderen Ursachen als dem Medikament Baclofen für die festgestellten UAWs führen. So kann z.B. Baclofen zu erhöhter Schläfrigkeit führen, genauso wie Psychopharmaka gleichzeitig zu anderen Bewusstseinsstörungen.
Und außerdem, selbst wenn bisherige Studien mit geringer Baclofen-Dosierung eine gute Verträglichkeit von Alkohol und Baclofen aufzeigten (Evans and Bisaga, 2009; Leggio et al., 2013) kann hoch dosiertes Baclofen bei alkoholabhängigen Patienten zu ernsthaften Nebenwirkungen wie z.B. Krämpfen führen (Rolland et al., 2012).
Obwohl wir der Einfachheit halber von UAWs, welche zum Therapieabbruch führten, gesprochen haben, wäre es besser, zu sagen, dass diese UAWs zum Entschluss eines Therapieabbruch beigetragen haben. Ein solcher Entschluss hängt von einer Gesamtheit von Faktoren ab, d.h. nicht nur von den UAWs. Auch andere Umstände können dabei eine wichtige Rolle spielen, wie z.B. Therapie-Effizienz, Motivation und Präferenzen seitens des Patienten sowie dessen persönliche Lebensumstände.
Und nicht zuletzt berücksichtigte unsere Studie auch keine pharmakokinetischen und pharmakodynamischen Parameter des Medikaments Baclofen. Insbesondere die Tatsache, dass eine identische Baclofen-Dosis nicht bei allen Patienten zur gleichen Wirkstoffkonzentration im Blutplasma führt (Marsot et al., 2013), könnte eine Erklärung dafür sein, warum UAWs jeweils bei so unterschiedlichen Dosierungen auftreten.
Die vorliegende Studie ist in vielerlei Hinsicht neu, insbesondere betrifft das die Länge des Beobachtungszeitraums, die Anzahl der Patienten, die hohe Dosierung und die Durchführung in einem Allgemeinärztlichen Umfeld (Garbutt and Flannery, 2007). Unsere Resultate scheinen mit der sonstigen wissenschaftlichen Literatur übereinzustimmen, welche jedoch limitiert ist und hauptsächlich aus Fallstudien besteht. Es gibt zwar auch einige beobachtende Studien (Smith et al., de Beaurepaire, 2012, Rigal et al., 2012), welche jedoch über die Verträglichkeit des Medikaments kaum Aufschluss geben. Die vier randomisierten und placebokontrollierten Studien mit Alkoholabhängigen fanden mit nur wenigen Patienten (maximal 84) statt, es wurden dort jeweils nur eine geringe Dosis (maximal 60 mg / Tag) verabreicht und der Fokus wurde insbesondere auf die Wirksamkeit und nicht auf die Sicherheit der Verabreichung des Medikaments gerichtet (Addolorato et al., 2002, 2007, 2011, Garbutt et al., 2010).
- Konsequenzen für die Praxis und für die Forschung
Unsere Resultate erlauben uns Drei Vorgehens-Ratschläge: Erstens berichtete mehr als ein Viertel der Patienten von Müdigkeitsanfällen nahe einer Narkolepsie. Das kann sowohl für die Patienten als auch für Dritte sehr gefährlich sein, z.B. wenn jemand ein Fahrzeug führt. Solche Risiken müssen den Patienten deutlich klar gemacht werden, und sie müssen davor gewarnt werden, sich in solche Gefahrensituationen zu begeben, insbesondere in Phasen der Dosiserhöhungen. Zweitens kamen bei einigen Patienten bereits bei geringer Dosierung anhaltende Aufmerksamkeitsstörungen vor, welche erst durch das vollständige Absetzen des Medikaments aufhörten. Bei Patienten mit schweren und gefährlichen UAWs, welche bereits bei geringer Dosierung einsetzen, erscheint es wichtig, die Notwendigkeit der Medikamentenverschreibung (Baclofen) neu zu überdenken, und, falls notwendig, die Therapie, welche unter Umständen mehr Schaden anrichten als nutzen kann, sofort abzubrechen. Drittens, angesichts des potentiellen Auftretens von hypomanischen Zuständen, denken wir, dass von einer Verschreibung von Baclofen an Patienten mit einer Bipolaren Störung wo möglich abgesehen werden sollte.
Eine breiter angelegte Studie wird sich zukünftig den seltenen und schwerwiegenden UAWs noch widmen müssen. Eine solche Studie könnte es auch ermöglichen, die tagsüber durch Baclofen erzeugte Müdigkeit genauer zu untersuchen. Einerseits auf die von uns gefundenen Phänomene der Interaktion und andererseits auf den charakteristischen Personenkreis, welcher diesbezüglich das größte Risiko aufweist. Das letztgenannt noch zu untersuchende Merkmal erscheint uns deshalb relevant, weil Toleranzprobleme häufig sind und die Therapie negativ beeinflussen. In unserer Studie waren davon 16 % der Patienten betroffen. Darunter 7 % haben die Einnahme des Medikaments komplett gestoppt und die anderen 9 % konnten die Dosis wegen nicht mehr tolerierbarer UAWs nicht weiter erhöhen. Einen signifikanten Zusammenhang zwischen Patientencharakteristika und einer medizinischen Intoleranz des Medikaments Baclofen haben wir in unserer Studie jedenfalls nur schwach gefunden.
Und nochmal: Das sind starke, mahnende Worte. Vielleich salopp in einem Satz zusammengefasst: Baclofen-Tabletten sind keinesfalls „Bunte Smarties“ (oder hier und hier). Vieles muss aber auch in einem Gesamtzusammenhang gesehen und kann relativiert werden. Dazu komme ich dann in einem späteren Beitrag.
DonQuixote